Leitartikel
aus AOK-FORUM / Sozial- und gesundheitspolitische Informationen der AOK
für das Land Brandenburg / Ausgabe: August 2002 Endlich:
Gesundheitszentren können erweitert werden tri
– Regine Hildebrandt würde sich freuen. Nach jahrelangen
Auseinandersetzungen und Bemühungen ist es nun endlich soweit: Die (vor
allem brandenburgischen) Gesundheitszentren, die nach dem entsprechenden
Paragraphen im SGB V so genannten 311-er Einrichtungen, sind nun nach
einer entsprechenden Gesetzesänderung zumindest in Ostdeutschland den
niedergelassenen Einzelpraxen insofern gleichgestellt, als dass auch sie
jetzt ohne die jahrelange Beschränkung des § 311(„soweit sie am
1.10.1992 noch bestanden“) an der ambulanten vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmen können. Praktisch heißt das, dass bei Erfüllung
der normalen Zulassungsvoraussetzungen neue Arztpraxen mit angestellten
Ärzten in bereits bestehenden Gesundheitszentren eröffnet werden können,
auch wenn die fragliche Fachrichtung dort am Stichtag 1.10.92 nicht
besetzt war. |
||
Bundesgesundheitsministerin
Ulla Schmidt, auf deren Vorarbeit hin die Gesetzesänderung im Juni auch
den Bundesrat passierte, sagte anlässlich eines Besuchs im
Medizinischen Zentrum Lübbenau Anfang Juli zur politischen Einschätzung
dieses Schrittes: „ Es war eindeutig ein Fehler, im Zuge der
Wiedervereinigung die Polikliniken der ehemaligen DDR weitgehend
aufzugeben. Es ist das Verdienst von Regine Hildebrandt, dass sie
zumindest in Brandenburg und auch in Berlin erhalten werden konnten.
Inzwischen haben sich diese Einrichtungen zu Gesundheitszentren
umgewandelt. ...Jetzt gibt es wieder Zukunftsperspektiven für die
Gesundheitszentren in Ostdeutschland. Insbesondere dort, wo unter einem
Dach verschiedene Leistungserbringer (z.B. Hausärzte, Fachärzte,
Heilmittelerbringer, Pflegedienste u.a.) zusammenarbeiten, können sie
sich nun in wohnortnahe ambulante Zentren der integrierten Versorgung
weiterentwickeln, frei werdende Arztstellen neu besetzen, sich auf neue
Fachgebiete ausdehnen und ihren Sitz – innerhalb des Planungsbereiches
– verlegen. ... Für die Patientinnen und Patienten bedeutet diese
integrierte Versorgung eine umfassende ambulante
Betreuung unter einem Dach mit kurzen Wegezeiten.“ Und
in ihrer Rede zum zehnjährigen Jubiläum des Gesundheitszentrums
Potsdam, der größten Einrichtung dieser Art in Brandenburg (am 6.Juli
2002), ging Frau Schmidt noch einen deutlichen Schritt weiter: Sie will
nun Gesundheitszentren wie dieses zum Angebot für ganz Deutschland
machen. In Zukunft solle es mehr Freiheit zur Vertragsgestaltung geben,
die Sicherstellung einer integrierten Versorgung könne auch durch
Einzelverträge mit Ärzten geschehen. Der Arzt als Einzelkämpfer gehöre
der Vergangenheit an. Die meisten Qualitätsverluste in der Medizin rührten
von einer mangelhaften Leistungsabstimmung. Aus ihrer Sicht seien
Gesundheitszentren die „geborenen Vertragspartner“ für die
Krankenkassen bei der Einführung strukturierter Behandlungsprogramme (DMP)
für chronisch Kranke. „Ich würde mir wünschen, dass das „Modell
Brandenburg“ auch ein Modell Deutschland wird“. Auch Brandenburgs Gesundheitsminister Alwin Ziel brach eine Lanze für die Gesundheitszentren, die er als mögliches Versorgungsmodell für den ländlichen Raum, ausdrücklich auch für die „alten“ Bundesländer, bezeichnete. „hier kommt der Osten mal zum Westen“. Ziel kann sich auch Arztpraxen auf dem Lande vorstellen, in denen sich Mediziner im Angestelltenverhältnis um ihre Patienten kümmern. Der
Redakteur nahm die Potsdamer Jubiläumsveranstaltung zum Anlass,
unterschiedliche Akteure im Gesundheitswesen um Antwort auf diese Fragen
zu bitten: Nach der geänderten Gesetzeslage können sich die noch
bestehenden Gesundheitszentren in Ostdeutschland über den Stand, den
sie im Oktober 1992 hatten, hinaus ausweiten. Dies betrifft vor allem
Einrichtungen im Land Brandenburg. Welche
konkreten Perspektiven und Möglichkeiten sehen Sie jetzt für die
Gesundheitszentren in Brandenburg ?
Glauben Sie, dass die mögliche Entwicklung der
Gesundheitszentren konfliktfrei zu anderen Institutionen, z.B. der
Kassenärztlichen Vereinigung erfolgen wird ?“ Hier die Antworten: Alwin Ziel, Brandenburger Minister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen: „Mit der von Ulla Schmidt vollzogenen Klarstellung des § 311 SGB V haben die Gesundheitszentren ein Stück mehr an Planungssicherheit bekommen. Sie können sich veränderten Nachfragebedingungen und Patientenwünschen besser anpassen als zuvor. Regine Hildebrandt hat ihr Programm zum Umbau der Polikliniken und Ambulatorien in wirtschaftlich arbeitende Gesundheitszentren gestartet, weil sie darin sehr viel eher die Zukunft der ambulanten Versorgung sah als in den im Einigungsvertrag als Regelform vorgesehenen Einzelpraxen. |
Dies
war ausgesprochen hellsichtig. Mittlerweile kann nicht nur Ulla Schmidt
feststellen, dass es ein Fehler war, die Polikliniken der ehemaligen DDR
aufzugeben. Sogar das von der Bundesärztekammer herausgegebene
„Deutsche Ärzteblatt“ überschrieb im vergangenen Oktober eine
Titelstory über die Gesundheitszentren mit „Vom Auslaufmodell zur
Alternative“. Auch das ist ein deutliches Zeichen für die wachsende
Bedeutung dieses „Brandenburger Modells“. Andere reden
von „integrierten Versorgungsformen“, bei uns werden sie erfolgreich
praktiziert. Allerdings wäre es naiv, von einer konfliktfreien
Entwicklung der Gesundheitszentren auszugehen. Das Gesundheitswesen ist
ein großer Wirtschaftszweig, da sind Innovationen immer mit Konflikten
verbunden. Auch sollte man die ideologische
Komponente der Diskussion um integrierte Versorgungsformen nicht
unterschätzen. Aber ich möchte davor warnen, einen künstlichen
Gegensatz zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen auf der einen und
Gesundheitszentren auf der anderen Seite zu konstruieren. Die
Gesundheitszentren sind Teil der vertragsärztlichen Versorgung; das sieht
auch die KV Brandenburg wohl so. Sie stehen damit neben anderen Formen der
ambulanten Versorgung, seien es Praxisgemeinschaften, Einzel- oder
Gruppenpraxen. Die Patientinnen und Patienten entscheiden, wohin sie gehen
und welche Versorgungsform sich durchsetzt. Das ist sinnvoller Qualitätswettbewerb.“ Dr.
Peter Noack,
Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung
Brandenburg: „Auch
wenn die Art und Weise, wie diese Gesetzesänderung erfolgte – nämlich
als Anhang zum Apothekenänderungsgesetz – geradezu konspirative Züge
aufwies, werden Perspektiven und Möglichkeiten klar von Gesetzesrahmen
bestimmt. Das heißt, Gesundheitszentren können sich entsprechend der
Bedarfsplanung entwickeln. Sie sind somit ein Angebot an interessierte
Kolleginnen und Kollegen, sich in den für die jeweilige Fachrichtung
offenen Planungsbereichen in einem Gesundheitszentrum anstellen zu lassen.
Inwieweit das angenommen wird, werden die kommenden Jahre zeigen. Bisher
haben die Kollegen, die den Weg in die eigene Niederlassung gewählt
haben, diesen Schritt trotz erheblicher eigener Investitionen unter
anderem deshalb getan, um sich mit ihrem Wissensstand selbst zu
verwirklichen und Unterstellungs- und Anstellungsverhältnissen zu
entfliehen. Da Gesundheitszentren eigene wirtschaftlich zu führende Einrichtungen sind, wird sich die Struktur dieser auch am bestehenden jeweils regionalen „Gesundheitsmarkt“ ausrichten. Derzeit
finden sich in den Gesundheitszentren jedoch die gleichen Probleme wie in
den Praxen der niedergelassenen Ärzte: Große Nachbesetzungs- und
Nachwuchsprobleme aus bekannten Gründen; Stichwort erhebliche
Unterfinanzierung der ostdeutschen ambulanten Medizin.“ Glauben
Sie, dass die mögliche Entwicklung der Gesundheitszentren konfliktfrei zu
anderen Institutionen, z.B. der KV, erfolgen wird ? „Natürlich, vorausgesetzt, es werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten. Die KV Brandenburg sieht Gesundheitszentren als eine Möglichkeit der ambulanten Versorgung. Die Interessen der derzeit 135 in Gesundheitszentren tätigen Ärzte werden sich, wie auch jene, die in anderen kooperativen ambulanten Strukturen arbeiten- wie Ärztehäusern, Gemeinschaftspraxen oder Praxisgemeinschaften, und das ist immerhin die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte! - im Kontext aller rund 3600 ambulant tätigen Ärzte wiederfinden. Diese innerärztliche Achtung und Solidarität in unserer KV, geprägt durch die Beschlüsse von Vorstand und Vertreterversammlung, sollte nach meiner Meinung Basis auch für den weiteren Weg in eine gemeinsame Zukunft sein.“ |
Dr.
Hans-Joachim von Essen,
Geschäftsführer des Gesundheitszentrums Potsdam: „
Die durch die neue Gesetzeslage gegebene Möglichkeit, zusätzliche
Arztstellen/Praxen in Gesundheitszentren anzusiedeln, wird sich für die
Einrichtung wie auch für die Patientenbetreuung positiv auswirken. Hätte
diese Möglichkeit schon in der Vergangenheit bestanden, wären Probleme
wie z.B. in Teltow und Lübbenau nicht aufgetreten. Eine Erweiterung des
Leistungsspektrums wird auch im Gesundheitszentrum Potsdam angestrebt.
Diese wird vorwiegend in den Fachrichtungen erfolgen, bei denen eine
Verbindung zu bereits bestehenden Fachrichtungen gegeben ist (Diabetologie
– Augenarzt). Ob
diese Entwicklung konfliktfrei verlaufen wird, wage ich zum jetzigen
Zeitpunkt noch nicht einzuschätzen. Ich gehe davon aus, dass die Kassenärztliche
Vereinigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts die nunmehr
bestehende Rechtslage bei ihren Entscheidungen berücksichtigen wird. Im
übrigen sehe ich auch seitens der KV eine immer stärkere Akzeptanz der
Gesundheitszentren, so dass ich grundsätzlich von einer positiven
Entwicklung ausgehe.“ Rainer
Schwitalski,
Geschäftsführer des Medizinischen Zentrums Lübbenau: „Diese
Gesetzesänderung bedeutet für uns, dass wir uns ab sofort darum bemühen
werden, das ärztliche Leistungsangebot des Zentrums sinnvoll an den
aktuellen medizinischen Bedarf unseres Versorgungsgebietes anzupassen.
Dies wurde uns in der Vergangenheit für die Fachgebiete Radiologie,
Neurologie, Urologie, Augenheilkunde durch juristische Schritte und ein
BSG-Urteil aus 1996 unmöglich gemacht. Allerdings sind auch wir derzeit
mit dem Problem konfrontiert, dass Fachärzte für eine gute ambulante
Versorgung fehlen, vor allem im hausärztlichen Bereich. Konkret bedeutet
das auch für uns, dass es augenblicklich schwer ist, freie Arztstellen zu
besetzen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass die Kassenärztliche Vereinigung
Brandenburg gegen mögliche weitere Arzteinstellungen in den
Gesundheitszentren intervenieren wird. Eine wichtige Voraussetzung für
die Entwicklung der Gesundheitszentren ist allerdings auch eine dieser
besonderen Versorgungsform entsprechende Finanzierung der ärztlichen
Leistungen in der innerärztlichen Honorarverteilung.“ Mag.
theol. Elimar Brandt,
geschäftsführender Direktor der Krankenhaus- und Poliklinik Rüdersdorf
GmbH: „ Aus unserer Sicht entspricht die durch die geänderte
Gesetzeslage mögliche Ausweitung prinzipiell der gesundheitspolitischen
Orientierung auf eine integrative Versorgung und ein abgestimmtes
Zusammenwirken der einzelnen ambulanten Fachbereiche. Der konzentrierte
Standort verschiedener Fachdisziplinen in Rüdersdorf in unmittelbarer Nähe
des Krankenhauses bietet auch hervorragende Möglichkeiten, die durch die
Einführung neuer Versorgungsformen erfolgenden Veränderungen im Verhältnis
ambulanter und stationärer Leistungserbringung zu optimieren. Entsprechend
des Bedarfs der Region und des Facharztangebotes wäre eine Erweiterung
des Leistungsspektrums unserer Poliklinik möglich. Als Problem stellt
sich dabei allerdings der Mangel an Fachärzten dar, der sich auch in
Brandenburg immer deutlicher abzeichnet.“ Zur
Frage der konfliktfreien Entwicklung: „Konfliktfrei sicher nicht. Obwohl die KV an die gesetzlichen Gegebenheiten gebunden ist, ist mit Interessenkonflikten zu rechnen. Die Integration niederlassungswilliger Ärzte in die Poliklinik wird durch die restriktiven Zulassungsbeschränkungen der KV erschwert bzw. unterbunden. Hier wünschen wir uns von der KV eine an der Versorgungsqualität in der Region orientierte höhere Flexibilität und Kooperationsbereitschaft.“ |
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des AOK-Forum |