Corona-Hausbesuchsdienst: Interview mit Dr. Peter Velling

Der Berliner Internist und BMVZ-Vorstandsvorsitzende Dr. Peter Velling fährt mit dem gemeinsamen Corona-Hausbesuchsdienst von Kassenärztlicher Vereinigung Berlin und Berliner Feuerwehr zu immobilen schwerkranken Patienten. Im Interview gibt er einen Einblick in den Praxisalltag, den Ablauf von Hausbesuchen für Risikopatienten und schildert aktuelle Probleme und Herausforderung bei der Versorgung in Berlin.

Das Interview ist am 21.03. im änd erschienen. 

 

Bericht aus dem Praxisalltag

Herr Dr. Velling, wie läuft es in Ihrer pneumologischen Praxis zurzeit?

Erstaunlich ruhig. Wir haben es geschafft, unsere Patienten zu überzeugen, dass Telefon- und E-Mail-Kontakt das Beste ist. Außerdem bewährt es sich, die akut Kranken von den chronisch Kranken zu separieren. Das machen wir aber jeden Winter zur Infekt-Zeit so. Patienten mit Atemwegsinfekten erhalten bei uns an der Anmeldung eine Atemschutzmaske und eine Temperaturkontrolle und werden dann separiert gesetzt. Denn schließlich betreuen wir in unserem Lungen-MVZ genau die Patienten der Risikogruppe regelmäßig.

(c) Hank Williams Pixabay

Testen Sie denn Patienten mit Atemwegserkrankungen auch auf Corona?

Wir machen Abstriche auf Covid-19 und Influenza, aber nur nach den Regelungen des Robert Koch-Instituts. Diese sehen ja klare Kriterien vor. Leider sind diese Regelungen nicht so allgemeinverständlich formuliert, dass auch der Bevölkerung klar wäre, wann ein Test auf Corona sinnvoll ist. Wir könnten uns viel Arbeit sparen, wenn zum Beispiel einmal klar gesagt würde, dass ein Asthmapatient unter Therapie kein Risikopatient ist.

 

Haben Sie denn in der Praxis noch Schutzkleidung?

Wir haben noch Schutzkleidung, aber es ist problematisch. Wir müssen aktuell die Masken mehrfach verwenden, jeder hat nur seine und das ist eigentlich nicht Sinn der Übung bei Produkten, die der Hygiene und dem Infektionsschutz dienen.

Hausbesuche für Risikopatienten
mit dem KV-Bereitschaftsdienst 

Sie sind auch auf einem der vier Fahrzeuge im Einsatz, die die Kassenärztliche Vereinigung Berlin gemeinsam mit der Berliner Feuerwehr zu schwerkranken Patienten mit Atemwegsinfekten nach Hause schickt. Wie funktioniert das?

Das Angebot ist noch im Aufbau. Es fußt auf dem hausärztlichen Besuchsdienst des KV Bereitschaftsdienstes. Die Einsatzaufträge erfolgen entweder über die Leitstelle der KV (116117) oder die Feuerwehr Leitstelle. Noch ist es möglich und sehr sinnvoll Covid-19 Verdachtsfälle vom normalen Bereitschaftsdienst getrennt zu besuchen. So müssen nicht alle Ärztinnen und Ärzte im Bereitschaftsdienst Schutzkleidung tragen. Wir besuchen die Patienten nur in Schutzausrüstung.

Und welche Patienten sind das?

(c) Gerd Altmann Pixabay

Oft sind das Patienten, die aufgrund einer Grunderkrankung eine ambulante Versorgung bräuchten, aber auch einen akuten Atemwegsinfekt haben. Das ist ein Problem, weil sie in den Praxen abgewiesen werden, solange sie nicht negativ auf Corona getestet sind. Aber wo soll dieser Test herkommen, wenn es sich um Patienten handelt, die nicht mobil sind, weil sie akut krank oder prinzipiell auf Hausbesuche angewiesen sind? Wir testen, wenn sie in einem Risikogebiet waren oder Kontakt zu einem Erkrankten hatten.

Können Sie mal ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel haben wir eine Patientin mit Mammakarzinom und einem leichten Naseninfekt besucht. Bei ihr waren eine Blutbildkontrolle und Urinstix nötig. Die betreuende Praxis mit nur Chemotherapie-Patienten hat für sich die Regelung getroffen nur noch „Negative“ in die Praxis zu lassen. Hier haben wir dann eine Einzelfallregelung gefunden, so dass diese Kontrolle gleich im Labor erfolgen konnte. Meistens müssen wir für die besuchten Patienten solche individuellen Lösungen organisieren. Zum Beispiel: Wie kommen sie an ein Rezept oder Medikament, ohne selbst ihre Wohnung zu verlassen?


Haben Sie bei diesen Einsätzen auch schon Patienten untersucht, die an Covid-19 erkrankt waren?

Das weiß ich erst seit Donnerstag (19. März) denn jetzt können der Patient und ich die Ergebnisse der Abstriche über die Labornummer auf einer Website nach Entnahmetagen ansehen. Ich teile die Labornummer und die Website beim Besuch mit, innerhalb von maximal 48 Stunden nach Abstrich – oft früher – ist das Ergebnis anhand dieser Labornummer einsehbar. Es werden keine Namen aufgeführt. So können wir „Abstreicher“ uns richtig verhalten, wenn bei uns selbst Symptome auftreten.

Das klingt sinnvoll. Und wie sinnvoll finden Sie das Angebot insgesamt?

Wir sind so eine Art Corona-Erkundungsdienst. Mit so einem Dienst kann man sicher jede Menge Patienten beruhigen und zugleich verhindern, dass wirklich Betroffene in die Praxen gehen. Gerade die nicht mobilen Patienten und deren Angehörige sollten sich nicht zuhause vergessen fühlen.

Vier Ärztinnen und Ärzte sind auf vier Fahrzeugen in ganz Berlin dafür im Einsatz. Zwei Wagen sind in Wittenau im Norden stationiert, die anderen beiden bei Teltow im Süden. Bisher reicht dies aus um alle Anfragen zu bedienen. Die Fahrzeiten zwischen den einzelnen Patienten sind jedoch lang. Das führt dazu, dass wir oft mehr durch Berlin fahren als wir Abstriche machen.

Die Situation in Berlin

Für wie sinnvoll halten Sie dann die Corona-Ambulanzen, wo die Patienten selbst hinkommen?

Für mobile Patienten ist das eine gute Möglichkeit. Allerdings gibt es hier das Problem, dass die Patienten komplett unkoordiniert hinkommen, weil keine telefonische Vorauswahl nach RKI Richtlinien stattfindet. Diese Richtlinien gelten aber auch dort..

Nun ist ja in Berlin auch noch ein zusätzliches, provisorisches 1.000-Betten-Krankenhaus geplant. Was halten Sie davon?

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Ich freue mich, dass so deutlich gesagt wird, dass es derzeit keinen Grund gibt, Angst zu haben, außer davor, dass unser eigentlich gutes Gesundheitssystem die Versorgung der Schwerstkranken nicht mehr leisten kann. Nun haben wir bisher keinen Engpass, aber dafür Vorsorge zu treffen, halte ich für absolut richtig. Allerdings ist ein provisorisches Krankenhaus in dieser Größenordnung auch eine echte Herausforderung. Wenn wir bei Katastrophenübungen eine provisorische Krankenstation mit fünf Betten aufbauen, dann dauert das fünf Stunden. Hier geht es um 1000 Betten. Aber die werden wir brauchen, wenn sie für ganz Deutschland zur Verfügung stehen sollen.

Woran hakt es aus Ihrer Sicht in Berlin derzeit am meisten?

Die Gesundheitsämter sind personell ohnehin nicht gut aufgestellt. Jetzt brauchen sie so viele Leute allein für Corona. Für ein Gesundheitsamt ist es also schwierig neue Patienten herauszufiltern Ihre Betreuung bestand bisher für gesicherte, meldepflichtige Erkrankungen. Wir können die Verantwortung aktuell nicht auf die Gesundheitsämter abwälzen, das ist ein gesellschaftliches Problem.

Noch fehlen uns auch Informationen: Welche Symptome hatten die Patienten, die positiv getestet wurden? Wie sieht der typische Corona-Patient aus? Aber das sind nicht unbedingt Berliner Probleme. Wir sind einfach noch nicht klug genug, die wirklich lebensbedrohlich Erkrankten frühzeitig zu erkennen. Insgesamt denke ich, wir haben in Deutschland bisher relativ viel richtig gemacht. Wir haben es möglicherweise geschafft, diesen ganz spitzen Peak in Todeszahlen zu vermeiden. Ich finde, jetzt müssen wir uns auch die Zeit nehmen, das Abflauen abzuwarten, bevor wir eine Manöverkritik angehen.