Nur auf den ersten Blick sind alle gleich …

Der Bundesverband Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e.V. (BMVZ) begleitet die Geschichte und das aktive Tun der ambulant-kooperativen Versorgungseinrichtungen seit nunmehr 25 Jahren.

In dieser Zeit haben sich Versorgungsstrukturen herausgebildet, die als ‚gleich‘ erscheinen, sich jedoch aufgrund ihrer Geschichte in ihrem rechtlichen und organisatorischen Rahmen unterscheiden.

Zur ‚Begriffs- und Paragraphenentwirrung‘ haben wir für Sie eine entsprechende Übersicht zusammengestellt und nachfolgend erläutert. Die Darstellung definiert die verschiedenen Versorgungsmodelle, stellt die Unterschiede heraus und versucht, gedankliche Stolperfallen aufzuzeigen.

 

Tabellarische Übersicht
(Stand Mai 2017)

Tabellenübersicht

Mehr zur Verbandsgeschichte:
‚BMVZ – praktisch, aktuell & visionär‘


INHALT


 

Grundlagen:
Ambulant-kooperative Einrichtungen im SGB V

Als Patienten hoffen wir im Ernstfall auf kompetente ärztliche Hilfe, je nach Krankheit auf kurze und einfache Versorgungswege, vermeidbare Doppeluntersuchungen, auf eine gute Kommunikation zwischen den Ärzten und auf ein gutes Verhältnis zum behandelnden Arzt.

All das können ambulant-kooperative Einrichtungen bieten. Ob es sich hierbei um ein ‚Gesundheitszentrum‘ nach § 311, ein (kommunales) ‚MVZ‘ nach § 95, oder eine ‚kommunale Eigeneinrichtung‘ nach § 105 handelt, welcher Rechtsform die ‚Praxis‘ unterliegt, ob die dort arbeitenden Ärzte angestellt oder Vertragsärzte sind, ist in aller Regel von außen auch nicht zu erkennen.

Zudem führen oft auch die Namen irre. Denn geführt werden solche Häuser ohne klare begriffliche Unterscheidung als MVZ, Gesundheitszentrum, Poliklinik oder auch Medizinisches Zentrum, Ärztehaus, Facharztzentrum etc. Oft ist die gewählte Bezeichnung eher einem möglichst guten Klang oder  einem besonders schönen Wortbild geschuldet, und eben nicht darauf orientiert, Klarheit über die Rechtsgrundlage der Einrichtung zu schaffen.

Tatsächlich kann dies dem Patienten auch egal sein, denn aus seiner Perspektive sind sie alle gleichermaßen der ambulant-kooperativen Versorgung zuzuordnen und somit zuständig und im Wesentlichen auch nach denselben Regeln tätig.

Rechtlich sind alle genannten Formen im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) beschrieben, und hierbei rückt insbesondere § 95, der insgesamt und ziemlich umfänglich für alle Ärzte, die ambulant unterwegs, sind die ‚Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung‘ regelt, ins Zentrum. Denn unabhängig von den besonderen Gründungsvoraussetzungen oder zulassungsrechtlichen Aspekten, die für die unterschiedlichen Einrichtungen maßgeblich sind, gelten für alle gleichermaßen als Grundlage ihres Tuns die Absätze 2 bis 9 des § 95  SGB V.

Ebenfalls ist ihnen gemein, dass sie uneingeschränkt den Grenzen der Bedarfsplanung unterliegen und auch hinsichtlich der Details der Leistungserbringung und -abrechnung sämtlichen Regeln des Vertragsarzt- und KV-Rechtes unterworfen sind. Eine Sonderstellung gegenüber dem klassischen Vertragsarzt in Einzel- oder Zweierniederlassung besteht somit bei keiner dieser Kooperationsformen.

Die wesentliche Unterscheidung liegt folglich auf anderer Ebene. Sicherlich ist eine organisatorische und rechtliche Differenzierung für das alltäglich praktische Tun nicht von vorrangiger Relevanz – und doch werden wir in der BMVZ-Geschäftsstelle immer wieder mit Fragen diesbezüglich konfrontiert.

Im folgenden geben wir daher einen Überblick über die unterschiedlichen Einrichtungen und ihre normativen Hintergründe und Besonderheiten.

  1.  § 311 II‚Gesundheitszentren‘
  2.  § 95 I‚MVZ‘
  3.  § 105 V‚Kommunale Eigeneinrichtung‘
  4.  Sonderfall: Das kommunale MVZ

Die DDR-Polikliniken haben
als sogenannte 311er Bestand

Aufgemerkt

Das Gesundheitsstrukturgesetz (GKV-GSG) vom Dezember 1992 sichert den Einrichtungen nach § 311 den Bestand. In ihrer Existenz sind sie nicht länger bedroht, doch ist eine Neugründung weder vorgesehen, noch erlaubt. Selbst die Weiterentwicklung bestehender Gesundheitszentren – wie die DDR-Polikliniken nach der Einigung zumeist genannt wurden – war lange strittig und wurde letztlich 1997 vom Bundessozialgericht rechtlich verneint. Positive Klarheit schuf hierzu erst die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001.

Die 311er bestehen folglich Kraft Gesetz. Umgangssprachlich könnte man sagen: Es gab sie bereits vor der Stunde Null der Einführung des Zulassungsrechtes in den neuen Ländern. Da sie nicht neu gegründet werden dürfen, jedoch bestehen bleiben, stellt sich hier die Frage der Zulassung nicht. Sie werden aber in der Bedarfsplanung gleichberechtigt erfasst.

Mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz Ende 2003 (GKV-GMG) werden die 311er dann gegenüber den mit selbigem Gesetz neu ‚erfundenen‘ MVZ gleichgestellt. Wie für die MVZ auch, ist die Teilhabe an der vertragsärztlichen Versorgung für die 311er in § 95 SGB V, geregelt.

Beispiele von 311er-Einrichtungen
Poliklinik Reil
MEG Senftenberg
Sana Gesundheitszentren Berlin

Direktlink:
Gesetze im Internet – § 311 SGB V

 

Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) –
ein neuer Mitspieler

Aufgemerkt

Die Versorgungszentren lösen die 311er-Einrichtungen nicht ab. Die MVZ-Idee wird zwar an deren Vorbild angelehnt, doch sind MVZ weitere, eigenständige Akteure in der ambulant-kooperativen Versorgungslandschaft. Im Gegensatz zu den 311ern dürfen sie neu gegründet werden und so die Versorgungslandschaft nachhaltig und – mit  auch heute noch anhaltender Tendenz – um Neugründungen bereichern.

MVZ sind somit keine Sonderfälle mehr, sondern fester Bestandteil der Regelversorgung. Tatsächlich liegt die Versorgunsgrelevanz aller MVZ zusammen Ende 2016 bei etwa 8 bis 9 Prozent. Dabei gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern jedoch teils erhebliche Unterschiede.

Die Genehmigung von MVZ-Gründungen erfolgt stets durch den Zulassungsausschuss. Zulassungsträger ist rechtlich stets die MVZ-Gesellschaft – meist eine GmbH oder GbR. Aus diesem Grund hat jedes (wirklich jedes) MVZ einen dreistufigen Aufbau, bestehend aus der Leistungserbringerebene, der MVZ-Gesellschaft sowie zum Dritten den Gesellschaftern des MVZ. Im Fall eines sogenannten Vertragsarzt-MVZ besteht eine Personenidentität zwischen der Leistungserbringer- und der Gesellschafterebene.

Einzelne 311er-Einrichtungen haben zwischenzeitlich die Gelegenheit genutzt und ihre Rechtsform in ein MVZ überführt. Von außen fällt die Abgrenzung entsprechend schwer. Auch weil 311er und MVZ in allen Belangen außer der Gründung und hinsichtlich ihrer Zulassungsgeschichte heute tatsächlich völlig gleichgestellt agieren.

Direktlink:
Gesetze im Internet – § 95 SGB V ff

Direktlink:
Aktuelle MVZ-Statistiken der KBV

 


Spezialnorm:
Kommunale Eigeneinrichtungen

Aufgemerkt

Voraussetzungen für die Gründung einer kommunalen Eigeneinrichtung nach § 105 SGB V sind also 1) der Ausnahmefall eines unterversorgten Gebietes und 2) die Zustimmung der zuständigen KV.

Aufgrund dieser Hürden gibt es nur sehr wenige Einrichtungen nach § 105 SGB V. Dies auch, weil nur wenige Jahre später mit der Ermöglichung des kommunalen MVZ eine konkurrierende Möglichkeit geschaffen wurde, die hinsichtlich der Umsetzung eben nicht den genannten Ausnahmebedingungen unterliegt und deshalb von den Kommunen vorgezogen wird.

Die wenigen ‚echten‘ Eigeneinrichtungen werden wiederum oftmals fälschlicherweise als MVZ bezeichnet, was sie jedoch dem rechtlichen Detail nach nicht sind. Jedoch unterliegen auch sie in der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit den Vorgaben des § 95 Absatz 2 ff.

Eine weitgehende inhaltliche Ähnlichkeit mit den 311er-Einrichtungen sowie den Medizinischen Versorgungszentren ist daher auch nicht zu leugnen. Anders als bei den letzten beiden Gruppen sind die kommunalen Eigeneinrichtungen jedoch ganz überwiegend als hausärztliche Grundversorger aufgestellt.

Direktlink:
Gesetze im Internet – § 105 SGB V

Beispiel einer kommunalen Eigeneinrichtung:
Ärztezentrum Büsum


Schnittmenge kommunales MVZ

Aufgemerkt

Für die Gründung von MVZ durch die Kommune gelten die Regelungen von § 105 Absatz 5 SGB V nicht. Es greifen stattdessen die Voraussetzungen nach § 95 Absatz 1a SGB V.

Der Sonderfall ‚kommunale Eigeneinrichtung‘ wird durch die neue Norm quasi zur Regelversorgung ‚kommunales MVZ‘. Es ist daher davon auszugehen – obwohl die Norm des § 105 SGB V parallel bestehen bleibt – dass künftig keine kommunalen Eigeneinrichtungen mehr gegründet werden.

Infolge der verschiedenen beteiligten Rechts- und Trägerebenen entsteht häufig das Missverständnis, Kommunen als Träger eines kommunalen Krankenhauses mit angeschlossenem MVZ verfügten über ein kommunales MVZ. Dies ist jedoch hinsichtlich der korrekten normativen Zuordnung der Einrichtung fehlerhaft.

Als Merksatz lässt sich sagen, dass kommunale MVZ in aller Regel nur von Kommunen gegründet werden, die kein kommunales Krankenhaus haben. Denn gibt es vor Ort ein Kreiskrankenhaus oder eine städtische Klinik wird sinnvollerweise in den meisten Fällen diese Träger des geplanten MVZ. Wodurch dieses wiederum rechtlich als Krankenhaus-MVZ in kommunaler Trägerschaft zu zählen ist, und deshalb in formaler Betrachtung kein kommunales Versorgungszentrum darstellt.

Beispiele ‚echter‘ kommunaler MVZ
(Presseberichterstattung):

Ärztliche Versorgung: Katzenelnbogen
gründet Gesundheitszentrum

Abschied von Pellworms Inselarzt : Zwei
Nachfolger übernehmen medizinische Versorgung

 


AusrufezeichenSowohl die Kurzdarstellung in Tabellenform als auch die Langfassung unserer Darstellung der derzeit existierenden poliklinisch-inspirierten Versorgungsstrukturen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Vielleicht kam Ihnen auch der ein oder andere Aspekt zu kurz. Dann lassen Sie uns dies bitte wissen.


Vieles hat sich in den letzten 25 Jahren im Bereich der kooperativen Versorgung bewegt und bewegt sich weiter.

  • Doch in welche Richtung wird es gehen?
  • Wie viel Pflicht, wie viel Kür ist im alltäglichen Tun möglich und erlaubt?
  • Und wie können diese praktisch abgebildet werden?

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Weiterführende Informationen

Zur Übersicht  (Stand: Mai 2017):
Tabellenübersicht

Direktlink:
Gesetze im Internet (SGB V)

BMVZ-Schriftenreihe Teil 1:
Von der Poliklinik zum Medizinischen Versorgungszentrum

Mehr zur Verbandsgeschichte
BMVZ aktuell, praktisch & visionär

2017 – Politische Forderungen des BMVZ:
Neue Chancen für die ambulante Versorgung