BMVZ begrüßt Einführung des Arztgruppenfalls und fordert Ausdehnung auf weitere Zusammenhänge

Der BMVZ sieht den Bewertungsausschuss beim Arztgruppenfall  auf dem richtigen Weg und befürwortet insoweit auch die Anfang Dezember erfolgte Rücknahme der rechtlichen Beanstandung durch die Fachaufsicht. Damit können die TSVG-Vergütungsanreize, wie zum 1. September 2019 vom Bewertungsausschuss beschlossen, abgerechnet werden.

Ausdrücklich unterstützt der BMVZ die von KBV und GKV-Spitzenverband mit Einführung des Arztgruppenfalls gefundene Lösung zur Umsetzung der TSVG-Honoraranreize, und befürwortet insoweit auch die kürzlich erfolgte Rücknahme der Beanstandung durch die Rechtsaufsicht.

Pressemitteilung als PDF


Weiterführende Informationen
und Erläuterungen

Zeitschiene & Fakten
Erläuterung Arztfall & Behandlungsfall
Erläuterung Behandlungsfall & Kooperationszuschlag
Hintergrund zum Arztgruppenfall
als neue Systemgrundlage

Grundbegriffe des Honorarsystems


Die vom BMG diesbezüglich am 26.9.2019 erfolgte Beanstandung sei zwar rechtlich nachvoll­ziehbar. Jedoch setzt die Arzt­gruppen­fallorientierung des Bewertungsausschusses dem gegenüber die aus Patienten- und Sytemsicht richtigeren Schwerpunkte und verhindert eine falsche Anreizsetzung, wie sie durch die Behandlungsfallorientierung implizit wäre.

Obwohl die vom Gesetzgeber geplante Honorarförderung – Ausbudgetierung aller Leistungen bei Neupatienten im Behandlungsfall – komplexe Versorgungsstrukturen bei der Vergütung besser gestellt hätte, als die am 1.9.2019 tatsächlich in Kraft gesetzte Lösung, sieht der BMVZ-Vorstand daher den Bewertungsausschuss mit der Einführung des Arztgruppenfalls auf dem richtigen Weg.

In der Auseinandersetzung zwischen BMG als Rechtsaufsicht und dem Bewertungs­aus­schuss ging es um die praktische Umsetzung der am 14.03.2019 vom Bundes­tag mit dem TSVG beschlossenen Änderungen, mit denen Ärzte z.B. für Neupa­tienten durch Ausbudgetierung der Vergütung mehr Honorar erhalten. Hintergrund ist die Absicht, Wartezeiten auf Termine durch gezielte Honoraranreize zu verkürzen.

Strittig war die Frage, ob die Honoraranreize auf den gesamten Behandlungsfall (Ge­setz­­geber) oder nur auf den jeweiligen Arztgruppenfall (Bewertungs­ausschuss) zu beziehen sind. Diese Unterscheidung ist ausschließlich für kooperative Leis­tungs­erbringer, wie fachübergreifend aufgestellte BAG und MVZ sie darstellen, relevant.

Tatsächlich ist dieser Fall nur einer von vielen, an denen sich exemplarisch aufzeigen lässt, dass die Behandlungsfallorientierung, die seit Sommer 2009 der gesamten Abrechnungs­systematik zugrunde liegt, für komplexe Kooperationsstrukturen, also vor allem für fachübergreifende BAG und MVZ auf vielen Ebenen Honorarprobleme mit sich bringt.

Allerdings sind die Effekte – anders als im hier vorliegenden Kontext – zumeist negativer Natur. Es ist leider Fakt, dass die fachübergreifende Zusammenarbeit dadurch wirtschaftlich unattraktiv ist und deshalb – trotz ihrer in vielen Fällen evidenten Sinnhaftigkeit – für Ärzte oft nicht in Frage kommt.

Aspekte der Fallzählungsproblematik

EBM 2013: Korrektur eines Geburtsfehlers in letzter Sekunde
(BMVZ-Artikel v. 4. Oktober 2013)

Das muss besser werden!
Berücksichtigung von MVZ & BAG bei der Leistungsabrechnung
(BMVZ-Artikel v. 17. Dezember 2017)

MVZ plattgemacht!
(Aufsatz aus der KMA – Ausgabe 1/2010)

Förderung von Kooperationen: Theorie trifft Realität
(Aufsatzsammlung aus der AuK – Ausgabe 11/2013)

Die aktuelle Auseinandersetzung sollte entsprechend zum Anlass genommen werden, die An­wen­dung des Arztgruppenfalls im Minimum auch auf weitere Kontexte – wie die fachärztliche Grundpauschale (PFG) oder den Laborwirtschaftlichkeitsbonus – auszudehnen.

Weitergehende Forderung des BMVZ ist es jedoch, das komplette Honorarsystem auf den Arzt­grup­penfall umzuorientieren, wodurch implizit auch das komplizierte Zuschlagssystem für MVZ (Kooperationszuschlag) ersatzlos entfallen könnte. Notwendig wäre lediglich, die zehnprozentige Zuschlagspauschale für diejenigen BAG oder MVZ-Abteilungen fortzuführen, bei denen dieselbe Fachgruppe durch mehrere Ärzte, die zusammen im Umfang von mehr als einem ganzen Versorgungsauftrag tätig sind.

Folge wäre ein deutlich einfacheres und transparentes Honorarsystem, bei dem Leistungen unabhängig davon, ob sie durch Ärzte in Einzelniederlassung oder durch kooperativ tätige Ärzte erbracht würden, gleich vergütet würden.


Zum Hintergrund:
Zeitschiene & Fakten zur Umsetzung der Honoraranreize des TSVG

In Umsetzung des TSVG (hier § 87a Absatz 3 Satz 5 SGB V) hat der Bewertungsauschuss (KBV & GKV-Spitzenverband) im Sommer 2019 zahlreiche Details zu den vorgesehenen Vergütungsanreizen geregelt. Darunter auch, in welchem Umfang die Leistungen der  Ärzte bei Neupatienten und Patienten in der offenen Sprechstunde extrabudgetär vergütet werden.

Obwohl hier im Gesetzestext vorgegeben ist, dass in diesen Konstellationen alle Leistungen im Behandlungsfall ausbudgetiert werden, haben KBV und GKV-Spitzenverband sich in der 445. Sitzung des BA darauf verständigt, die Ausbud­getierung der Leistungen auf den extra neu einge­führten Arzt­gruppenfall zu beschränken.

Dies wurde – neben weiteren Punkten – vom Bundes­gesundheitsministerium (BMG) mit Schreiben vom 26. September 2019 beanstandet. Ausweislich verschiedenen Veröffentlichungen der KV Rheinland-Pfalz hat erkennt der BA die Beanstandung jedoch hinsichtlich des Arztgruppenfalls nicht an und hat dagegen geklagt.

Im Ergebnis von Fachgesprächen zwischen BMG und Bewertungsausschuss, zu denen es bisher keine Details gibt, wurde die Beanstandung hinsichtlich der Nichtumsetzung des Behandlungsfallbezuges von der Rechtsaufsicht Anfang Dezember zurückgenommen.

Arztfall & Behandlungsfall

Diese honorarrelevanten Definitionen sind Folge der vielfältig gewordenen Versor­gungs­­strukturen. Mit Einführung des RLV im Jahr 2009 wurde zum bekannten Arztfall, also der Rechengröße für die Gesamtheit aller Kontakte eines Arztes am selben Patienten innerhalb eines Quartals, zusätzlich der so getaufte Behandlungsfall eingeführt. Damit wird die Gesamtheit der Kontakte aller Ärzte einer Arztpraxis am selben Patienten innerhalb des Quartals abrech­nungs­technisch umschrieben.

In einer Einzelpraxis sind Arztfall- und Behandlungsfallzahl per Definition stets gleich groß, während es bereits in einer Zweier-Praxis immer mehr Arztfälle als Behandlungsfälle gibt, da bei letzteren die Kontakte, bei denen derselbe Patient beide Ärzte in Anspruch genommen hat, nur einfach gezählt werden. Logischerweise wächst die Differenz zwischen Arzt- und Behandlungsfällen mit der Größe einer Praxis und hängt auch davon ob, ob man z.B. eine fachgleiche BAG oder ein fachübergreifendes MVZ betrachtet.

Als Praxis zählt hierbei jeweils die gesamt BAG, bzw. das ganze MVZ. Je größer und fachkomplexer ein MVZ, oder eine BAG also ist, umso intensiver ist der Honorareffekt, der entsteht, weil seit 2009 der Honoraranspruch nur einmal im Behandlungsfall ausgelöst wird.

Behandlungsfall & Kooperationszuschlag

Die Behandlungorientierung bildet seit 2009 die Basis der Honorarabrechnung im ambulanten Bereich – hinsichtlich von Zuschlägen, Ausschlüssen oder eben den TSVG-Vergütungsanreizen gilt dies auch in KV-Regionen, die ansonsten die RLV-Systematik wieder abgeschafft haben. Zum Ausgleich der durch dieses System bedingten Honorarverluste bei BAG und MVZ wurde der sogenannte Kooperationszuschlag eingeführt. Dieser stellt somit keineswegs einen Zuschlag im Sinne eines ‚Mehr an Honorar‘ dar, sondern soll nichts weiter als die systematisch angelegte Honorardiskriminierung von Kooperationen ausgleichen. Dies erfolgt grundsätzlich unvollständig und in den 17 KV-Regionen in mittlerweile sehr verschiedener Höhe.

Es ist daher falsch, von der Existenz des Kooperationszuschlages auf eine honorar­recht­liche Besser­stellung ärztlicher Kooperationen zu schließen. Das Gegenteil ist der Fall. Dies insbesondere, da die Behandlungsfallorientierung sich als roter Faden durch die gesamte Ab­rechnungs­systematik zieht und damit gerade bei fachübergreifend aufgestellten Kooperationen weitere negative Honorareffekte z.B. beim Laborwirtschaftlichkeitsbonus oder bei der Zusatzpauschale für die fachärzt­liche Grundversorgung (PFG) nach sich zieht.

Sichtbare Folge ist u.A. der auffällige Anstieg bei den Gründungszahlen fachgleicher MVZ, seit diese im Sommer 2015 für zulässig erklärt wurden, da fachübergreifende Kooperation zwar nach wie vor unstrittig sinnvoll ist, aber betriebswirtschaftlich durch die dargestellten Umstände oft nur unwirtschaft­lich umgesetzt werden kann.

Arztgruppenfall als neue Systemgrundlage

Die nun erfolgte Einführung des Arztgruppenfalls, der Elemente der Arztfall- sowie der Behand­lungs­fall­­zählung in sich vereint, ist geeignet, das geschilderte ‚Honorarproblem‘ systematisch zu beheben. Es setzt auch – betrachtet man die Anreizeffekte aus der Sicht des Gesamtsystems – die absolut richtigen Honoraranreize. Faktisch werden dadurch arztgruppengleiche Kontakte des Patienten weiter als ein Behandlungsfall gewertet, während fachverschiedene Arztkontakte (Beispiel Besuch im Quartal bei Hausarzt & Chirurg) wie bei der Arztfallzählung jeweils einen Honoraranspruch auslösen.

Würde man diese Systematik – wie vom BMVZ bereits 2011 in die Diskussion eingebracht – auf das gesamte Abrechnungs­system übertragen, könnte damit automatisch auch die für alle Beteiligten leidige Problematik des Kooperationszuschlages ersatzlos entfallen. Die Ausweitung der Anwendung des Arztgruppenfalls wäre damit ein Beitrag zu einem strukturübergreifend gleich wirkendem, sowie vor allem auch transparenterem Honorarsystem.