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Gesundheitszentren

Als Gesundheitszentren werden in aller Regel diejenigen kooperativ tätigen Arztgemeinschaften bezeichnet, die in Ostberlin und den neuen Bundesländern in Nachfolge einer DDR-Poliklinik bis heute an der ambulanten medizinischen Versorgung teilnehmen. Mancherorts findet sich dafür auch der Begriff der ‚311er-Einrichtung‘ in synonymer Verwendung. Diese Bezeichnung verweist auf die gesetzliche Grundlage dieser ausschließlich in Ostdeutschland vorkommenden Sonderform der ärztlichen Gemeinschaftspraxis (§ 311 SGB V).


1. Polikliniken in der DDR

Polikliniken wurden in der DDR als fachübergreifende und direkt aus dem Staatshaushalt finanzierte Ärztehäuser verstanden, die je nach Standort unter Leitung eines Krankenhauses, einer Universität, eines Betriebes oder einer Kommune standen. Dabei war – entgegen landläufigen Annahmen – gerade für die großen Polikliniken charakteristisch, dass deren Ärzte und Zahnärzte nicht an einem Standort konzentriert waren. Vielmehr waren meist mehrere Arztstellen und sogenannte Stadt- und Landambulanzen organisatorisch zu einer Poliklinikeinheit zusammengefasst.

Ziel war, die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung mit einem geringen Ressourcenaufwand zu sichern. Entsprechend waren in den Polikliniken und den kleineren, aber ebenfalls poliklinisch arbeitenden Ambulatorien die diagnostischen und labortechnischen Möglichkeiten einer Region konzentriert.
In den einzelnen Einrichtungen waren in Abhängigkeit von ihrer Größe Optiker, Apotheker, Physiotherapeuten und/oder andere Gesundheitsdienstleister, die in festen Strukturen mit den Ärzten kooperierten, in die medizinische Betreuung eingebunden. Die gemeinsame Arbeit wurde dabei durch die zentrale Patientenverwaltung, die alle Daten eines Patienten in einer Akte bündelte, unterstützt. Etwa 80 Prozent aller ambulanten Leistungen wurden solcherart in der DDR poliklinisch erbracht.

Bis auf die Ausnahme von zuletzt 788 Medizinern (2,5 % aller ambulanten Ärzte und Zahnärzte) waren dabei alle Mediziner des ambulanten Sektors abhängig tätig, d.h. als Angestellte des staatlichen Gesundheitswesens beschäftigt.


2. Der Einigungsprozess: Aus Polikliniken werden Gesundheitszentren

Neben der poliklinischen Struktur stand die medizinische Versorgung der DDR insbesondere wegen der Ausschließlichkeit von ärztlichen Anstellungsverhältnissen der bundesdeutschen Versorgungslandschaft diametral gegenüber.
Obwohl der angestellte Arzt in der stationären Versorgung auch in der Bundesrepublik als Selbstverständlichkeit galt, war die Ausübung ambulanter Medizin in Anstellung in der BRD zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung ein standesrechtliches Tabu und wurde öffentlichkeitswirksam mit einer minderwertigen Versorgungsqualität gleichgesetzt.

Entsprechend setzte mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages, der die Übertragung des bundesdeutschen Krankenversicherungsrechtes und der in Westdeutschland tradierten Versorgungslandschaft vorsah, eine schnelle Abwicklung des Poliklinikensystems ein. Obwohl den poliklinischen Einrichtungen gemäß des Einigungsvertrages in § 311 des SGB V ein Bestandsschutz bis einschließlich 1995 gewährt worden war – hauptsächlich, um einen sofortigen Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in den neuen Ländern zu verhindern – hatten sich zum Jahreswechsel 1991/92 bereits 80 Prozent der ambulant tätigen Ärzte selbständig niedergelassen. Im Januar 1992 bestanden von den vormals 5248 poliklinischen Einrichtungen der DDR noch 433, von denen wiederum viele nur noch mit einer Rumpfmannschaft besetzt waren.

Einzig in Ostberlin und Brandenburg gab es seitens der neuen Landesregierungen Versuche, Polikliniken zu erhalten. Vor allem die Brandenburger Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt setzte sich dabei mit dem Leitspruch, dass man die DDR-Polikliniken nicht nur deshalb preisgeben dürfe, weil sie im System der BRD nicht vorkamen, dafür ein, Polikliniken eine gegenüber den niederlassungswilligen Ärzten gleichberechtigte Ausgangsposition in dem neuen System zu verschaffen. Konsequenterweise finden sich heute die meisten noch arbeitenden Gesundheitszentren im Land Brandenburg.
Dennoch blieb insgesamt der Erfolg solcher Maßnahmen begrenzt: Ende der neunziger Jahre waren noch knapp 2 Prozent der ambulant tätigen Ärzte Ostdeutschlands in poliklinisch arbeitenden Einrichtungen angestellt.


3. Der gesetzliche Rahmen der Gesundheitszentren

Im Einigungsvertrag war festgelegt worden, dass „zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung … die … bestehenden … Polikliniken, Ambulatorien u.a. kraft Gesetzes bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen“ sind. Und obwohl es sogar seitens des zuständigen Bundesministeriums bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 anderslautende Aussagen gegeben hatte, wurde allgemein angenommen, dass damit für 1996 das Aus aller Polikliniken besiegelt worden war. In der Konsequenz wurde durch diese Befristung der Auflösungsprozess der bestehenden Einrichtungen noch beschleunigt.

Rückblickend betrachtet ist es ein Verdienst vor allem der Sozialdemokraten, dass im Herbst 1992 dennoch die sogenannte ‚Entfristung‘ der Polikliniken durchgesetzt werden konnte. Denn vor dem Hintergrund parteiübergreifender Verhandlungen zu einer umfassenden Gesundheitsreform, hatte es die SPD auf vornehmliche Initiative ihres Brandenburger Landesverbandes zur Bedingung ihrer Zustimmung zur Gesamtreform gemacht, den noch bestehenden Einrichtungen, die Zulassung über 1995 hinaus zu gewähren. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt real nur noch wenigen poliklinischen Einrichtungen, die von einer Entfristung profitieren konnten, fiel es den Christdemokraten vergleichsweise leicht, in dieser Frage einen Kompromiss einzugehen.

Auf diesem Wege wurde die unbefristete Zulassung aller am 1.10.1992 bestehenden Einrichtungen Teil der zum 1.1.1993 inkraftgetretenen Gesundheitsstrukturreform. Allerdings betraf das – auf das Gebiet der DDR gesehen – insgesamt weniger als 100 Häuser mit 1998 noch 336 darin angestellt tätigen Ärzten (1,7 % der ambulanten Ärzteschaft Ostdeutschlands). Alle anderen Polikliniken und Ambulatorien waren Opfer der allgemeinen Niederlassungspolitik geworden, wobei vielfach trotz Auflösung der eigentlichen Poliklinik, im selben Gebäude ein privatwirtschaftlich strukturiertes Ärztehaus gebildet worden war und oft bis heute als zentrales Versorgungszentrum einer Gemeinde oder Region besteht.


4. Die Gesundheitszentren in den neunziger Jahren

Mit Gewährung des unbegrenzten Bestandsschutzes für die 311er Einrichtungen per Gesetz vom 21.12.1992 gerieten diejenigen Einrichtungen, deren Träger an einem Fortbestand interessiert gewesen waren, nach und nach in ruhigeres Fahrwasser. § 311 des SGB V verbot in seiner neuen Fassung von 1992 den Einrichtungen jedoch gleichzeitig, ihr ärztliches Angebot über das des Stichtages hinaus zu erweitern.
Nach höchstrichterlicher Auslegung von 1996 (BSG 6 Rka 45/95 vom 19.6.1996) konnten die Gesundheitszentren daher keine Ärzte in neuen Fachgebieten anstellen, sondern durften lediglich bestehende Stellen nachbesetzen. Damit war ihnen die Chance zu einer wirtschaftlich sinnvollen Weiterentwicklung verwehrt.

Zusätzlich hatten insbesondere die Brandenburger Gesundheitszentren mit der Kassenärztlichen Vereinigung ihres Landes als zuständige Honorarstelle beständig gegen vielfältige Benachteiligungen zu kämpfen. Bekanntermaßen waren die Kassenärztlichen Vereinigungen schon in der Wendezeit diejenigen Organisationen gewesen, die am intensivsten gegen jedweden Erhalt poliklinischer Versorgungsstrukturen eingetreten waren. Unter anderem um der KV entgegen treten zu können, wurde daher von den Brandenburger Gesundheitszentren im Frühjahr 1992 der Verband der Gesundheitszentren e.V. (VdGZ) gegründet, der 2005 in Bundesverband Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e.V. umbenannt worden ist.

Insgesamt führten die noch bestehenden Polikliniken in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ein geduldetes Nischendasein. Dennoch blieben sie lange Zeit ein Politikum.

1998: Bericht zur Sitution der Gesundheitszentren

Erst der Regierungswechsel auf Rot-Grün vom Herbst 1998 verschaffte ihnen in der Bundespolitik die notwendige Lobby, sich als normale, wenngleich auch auf Ostdeutschland begrenzte Versorgungsform zu etablieren. In der Folge wurde per Gesetz § 311 SGB V dahingehend geändert, dass ab 1999 die aus dem Einigungsvertrag resultierende Förderung der niedergelassenen Ärzte zu Lasten poliklinischer Gemeinschaftseinrichtungen gestrichen wurde. Im August 2002 wurde zudem der Passus, nach dem Gesundheitszentren nicht vergrößert werden durften, und an dem sich die Gerichtsentscheidung von 1996 orientiert hatte, ersatzlos aufgehoben.

August 2002: Endlich – Gesundheitszentren können erweitert werden

Juli 2002: Jobs in Gesundheitszentren für Ärzte attraktiv?

Schrittweise änderte sich so die Sichtweise auf die Gesundheitszentren: Früher vor allem als Auslaufmodell wahrgenommen, entwickelten sie sich unter der rot-grünen Regierungsmehrheit zunehmend zum Zukunftsmodell.


5. Unterschiede zwischen dem heutigen Gesundheitszentrum und einer DDR-Poliklinik

Nach den Regelungen des Einigungsvertrages war der Fortbestand der Polikliniken an die Bedingung einer kommunalen oder freigemeinnützigen Trägerschaft geknüpft. Einige wenige Polikliniken wurden nach 1991 in Trägerschaft freigemeinnütziger Vereine wie dem Deutschen Roten Kreuz oder dem Arbeiter-Samariterbund weitergeführt. Mehrheitlich wurden jedoch von den Kommunen selbst Trägergesellschaften für den Weiterbetrieb gegründet, die im Land Brandenburg den etwas befremdlichen – aber oft bis heute geltenden – Namen Medizinische Einrichtungsgesellschaft (MEG) tragen.

Nach bundesdeutschem Recht ist es nur innerhalb der engeren Struktur dieser MEG, die ausschließlich die Anstellungsverhältnisse eines Gesundheitszentrums zum Geschäftsinhalt hat, zulässig, nach Zustimmung des Patienten eine gemeinsame Akte zu führen. Zu den vielerorts ebenfalls am alten Poliklinikstandort niedergelassenen Arztkollegen besteht daher trotz der räumlichen Nähe, anders als zu DDR-Zeiten, nur ein normales kollegiales Miteinander. Auch die Gesundheitsdienstleister, die ähnlich wie zu DDR-Zeiten in den meisten Gesundheitszentren das Angebot der ansässigen Ärzte komplementieren, sind heute in aller Regel selbständig tätig und, anders als früher, nur Mieter des Gesundheitszentrums.
Entsprechend ist die Zusammenarbeit weniger eng, gleichwohl insgesamt nach wie vor meist ein kooperatives Miteinander gepflegt wird.

November 2002: Ärzte können sich ganz in Ruhe ihren Patienten widmen

Trotz der kommunalen Trägerschaft unterliegen alle Gesundheitszentren denselben berufständischen und finanzierungstechnischen Regelungen wie die niedergelassenen Ärzte auch, was den wichtigsten Unterschied zu den DDR-Zeiten begründet. Denn mit der Umstellung der Finanzierung von einer überwiegend steuerbasierten pauschalen Staatsfinanzierung auf die Honorierung der ärztlichen Leistung durch fallbezogene Einzelabrechnung ergab sich die Notwendigkeit, das ärztliche Handeln auch der angestellten Ärzte an die ökonomischen Notwendigkeiten des bundesdeutschen GKV-Systems anzupassen.

Alle 311er-Einrichtungen arbeiten dementsprechend heute leistungsbezogen, serviceorientiert und selbsttragend.
Entscheidend für die Umbenennung der Polikliniken in Gesundheitszentren war im Übrigen weniger die tatsächlichen Veränderungen, als mehr die Anfang der neunziger Jahre in der Bevölkerung vorherrschende gefühlsmäßige Ablehnung von allem, was nach DDR klang. Die Wahl der Bezeichnung als Gesundheitszentrum war entsprechend in erster Linie eine strategisch notwendige Marketingentscheidung.

Wenn man allerdings heute in Brandenburg das Gesundheitszentrum einer Gemeinde sucht, kommt man oft am schnellsten ans Ziel, wenn man nach der Poliklinik fragt …


6. Lohnenswerte Literatur zum Thema (Eine Auswahl):

Manow, Philip
Gesundheitspolitik im Einigungsprozeß; Frankfurt/Main 1994

Schräder, Wilhelm / Jacobs, Klaus
Von der Poliklinik zum Gesundheitszentrum: Umstrukturierung der ambulanten Versorgung im Land Brandenburg; Berlin 1996 (1. Aufl.) und 1997 (2. Auflage)

Spaar, Horst (Redaktion)
Dokumentation zur Geschichte des Gesundheitswesens der DDR 1945 – 1989 – 6 Teile (davon Teil 6 in 2 Bänden); Berlin 1996 – 2004

Wasem, Jürgen
Vom staatlichen zum kassenärztlichen System: Eine Untersuchung des Transformationsprozesses der ambulanten Versorgung in Ostdeutschland; Frankfurt/Main 1997