20. August 2019
Mit dem TSVG ergeben sich für Vertragsärzte und MVZ neue Vergütungsanreize. Obwohl vieles noch unklar ist und insbesondere handfeste Umsetzungs- und Durchführungsvorgaben fehlen, haben wir hier erste Erkenntnisse unter dem besonderen Blickwinkel kooperativer Versorger zusammengestellt.
Die KBV und der GKV-Spitzenverband haben sich Ende Juni auf ein Richtlinienpapier zur Ausgestaltung der TSVG-Vergütungsregelungen geeinigt. Seitdem ist – ehrlich gesagt – nicht viel Neues passiert, außer dass selbige „Eckpunkte zur Änderung des EBM„ nun auch veröffentlicht wurden. Für Ende August ist eine weitere Sitzung des Bewertungsausschusses zu diesen Fragen angesetzt-
Was unklar ist
Es fehlen nach wie vor wesentliche Bausteine, bevor ab 1. September extrabudgetäre Vergütungen fließen (könnten). Konsequenterweise können daher zu vielen Fragen noch keine erschöpfenden Antworten zur künftigen Abrechnungspraxis oder dazu, wie das Ganze von den Ärzten organisiert werden soll, gegeben werden. Aus diesem Grund finden Sie nachfolgend das zusammengefasst, was schon verlässlich bekannt ist.
Bitte beachten:
Bitte beachten Sie, dass wir diese Übersicht zwar mit Sorgfalt und Bedacht zusammengestellt haben, aber angesichts der Komplexität und teilweisen Widersprüchlichkeit der Informationslage, Fehler dennoch nicht ausschließen können.
Die vier neuen TSVG-Fälle
- Terminservicestellen-Terminfall
- Terminservicestellen-Akutfall
- Terminvermittlung vom Hausarzt zum Facharzt
- Neupatienten
Für die vier neuen TSVG-Vergütungen im Falle soll gleichermaßen der nun neu eingeführte Arztgruppenfall Berechnungsbasis sein. Die gilt auch in KVen, die nicht mehr nach der RLV-Systematik arbeiten. Adressiert sind alle Fachgruppen mit Ausnahme der Pathologen und Laborärzte. Die Schwerpunktinternisten gelten analog zu den EBM-Kapiteln 13.3.1. bis 13.3.8. als jeweils eigene Fachgruppe.
Was bereits bekannt ist:
- Definition des Arztgruppenfalls
Der Arztgruppenfall ist definiert als Zusammenfassung aller Leistungen, die von derselben Arztgruppe in derselben Arztpraxis innerhalb des selben Kalendervierteljahres ambulant zulasten der selben Krankenkasse erbracht worden sind.Ein fachübergreifendes MVZ kann entsprechend mehrere Arztfälle parallel generieren.
- Dringliche Terminvermittlung vom Haus- zum Facharzt
Die dringliche Terminvermittlung vom Haus- zum Facharzt ist überweisungsgebunden und wird daher bei Terminen innerhalb derselben MVZ-Struktur – maßgeblich ist die BSNR – nicht mit den ansonsten in Aussicht gestellten 10,07 € (93 Punkte) gesondert vergütet. Bei Vermittlung ist ab 1. September vom Hausarzt die neue GOP 03008 (bzw. vom Pädiater die 04008) anzusetzen und die Betriebsstättennummer des Überweisungsempfängers verpflichtend anzugeben. Überschreiten in HA- oder KJ-Praxen die Fälle mit Ansetzung der neuen GOP 15 % gilt dies als Abrechnungsauffälligkeit. Der Dringlichkeitsgrund ist in jedem Fall zu dokumentieren. Eine allgemeingültige Definition der ‚medizinischen Dringlichkeit‘ ist im EBM vorgesehen, steht aber noch aus.
- Fachärztliche Behandlung bei dringlicher Terminvermittlung
Die fachärztliche Behandlung von Patienten, für die mit Dringlichkeit ein Termin vom Hausarzt/Pädiater vereinbart wurde, führt beim Überweisungsempfänger nicht zum Ausschluss der PFG. Hierfür ist weiter nur die Tätigkeit des Facharztes maßgeblich. Alle Leistungen in dem Arztgruppenfall, der mit der Pseudo-GOP 99873H gekennzeichnet ist, werden seit 11. Mai extrabudgetär vergütet.
- Extrabudgetäre Vergütung im Rahmen der offenen Sprechstunde
Für die extrabudgetäre Vergütung im Rahmen der offenen Sprechstunde wird eine Obergrenze eingeführt, die bereits auf 17,5 % der Arztgruppenfälle im Vorjahr festgelegt wurde. Alle weiteren Details dazu wurden noch nicht vereinbart.
„Zur Operationalisierung dieser Grenze werden nach einem bis zum 31. August 2019 noch festzulegenden Algorithmus höchstens 17,5 % der Arztgruppenfälle einer Arztpraxis des Vorjahresquartals extrabudgetär vergütet.“ Die Formulierung deutet auf eine pauschalierte Vergütung hin. Für die Kennzeichnung der Patienten wird ebenfalls eine neue Pseudo-GOP geschaffen – hier die 99873O.
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- Regelung und Definition von Neupatienten
Hinsichtlich der Neupatienten ist ebenfalls noch vieles ungeregelt. Fest steht, dass in fachübergreifenden BAG und MVZ ein Patient in maximal zwei Arztgruppen als ’neu‘ gilt. D.h. auch hier wird grundsätzlich – was gut ist – arztgruppenbezogen geschaut, aber – was weniger gut ist – ein Deckel für Kooperationen mit mehr als zwei Fachrichtungen eingeführt. Behandelt eine dritte, vierte, etc. Arztgruppe den Patienten, gilt er folglich dort nicht als Neupatient. Dies gilt auch quartalsversetzt. Jungpraxen sind grundsätzlich zwei Jahre bei dieser Regelung außen vor. Nicht anwendbar ist sie (mit hoher Wahrscheinlichkeit) auch, wenn ein Vertragsarzt seinen Sitz in ein MVZ einbringt (da bloßer Statuswechsel).
- Vermittlung von Patienten durch die Termin-Service-Stelle (TSS)
Für Patienten, die von der Terminservicestelle vermittelt wurden, werden bereits ab 11. Mai alle Leistungen des jeweiligen Arztgruppenfalles extrabudetär vergütet. Ab 1. September kommt in Abhängigkeit von der Schnelligkeit der Realisierung des Termins ein prozentualer Zuschlag auf die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschalen hinzu.
- Meldung von Terminen an die TSS
Die Meldung von Terminen an die TSS ist verpflichtend, wird jedoch regional geregelt. Viele KVen sehen dabei für die einzelnen Arztgruppen unterschiedliche Meldepflichten hinsichtlich der Anzahl der zu meldenden Termine vor. Zwischen den Vermittlungsdaten der TSS und Ihren Abrechnungsdaten hinsichtlich der TSVG-Fälle (1) und (2) wird künftig ein zusätzlicher Plausibilitätsabgleich durchgeführt werden. Wobei TSS-Akutfälle – also die Terminvermittlung innerhalb von 24 Stunden – wahrscheinlich erst ab Januar 2020 relevant sein werden, da vorher die Einführung des SMED (= standartisiertes Ersteinschätzungsverfahren) als technische Voraussetzung abzuwarten ist.
- Mehrere Patientenbesuche pro Quartal
Besucht ein Patient die Praxis oder das MVZ mehrfach im Quartal und tritt dabei unterschiedlich, etwa in der einen Arztgruppe als TSS-Fall und in der anderen als Normalfall auf – sind künftig zwei Abrechnungsscheine anzulegen. Dies gilt auch für alle anderen denkbaren Kombinationen. Insgesamt kommt hier folglich auch noch Einiges an Arbeit, was dann wahrscheinlich sehr kurzfristig zu implementieren ist, auf die Praxissoftwarefirmen zu.
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Was es zu beachten gilt
Mit Ausnahme der Zusatzgebühr für die dringliche Terminvermittlung durch HA- und KJ-Ärzte sowie der pauschalen Aufschläge auf schnelle Terminrealisierung bei TSS-Anfragen sind sämtliche extrabudgetäten Vergütungen bereinigungsrelevant. D.h. in den Quartalen IV/2019 bis III/2020 (teilweise abweichend) werden alle Mehrvergütungen verursacherbezogen bereinigt. (Wobei nicht ganz klar ist, wie mit den entsprechenden Leistungsanforderungen aus dem Zeitraum Mai bis September 2019 verfahren wird – einzelne KVen haben hier bereits Korrektur-RLV-Bescheide angekündigt.)
Kurz gesagt:
Für jeden Euro extrabudgetäre Vergütung wird Ihnen knapp dieselbe Summe vom RLV abgezogen. Ein echtes Honorarplus – so ist das im TSVG vorgesehen – kann tatsächlich erst nach(!) diesem Zeitraum realisiert werden.
Gleichzeitig gilt, dass die in den Bereinigungsquartalen dokumentierten neuen TSVG-Fälle nicht mehr zur Bemessung der RLV-relevanten Fallzahl herangezogen werden, so dass sich diese entsprechend reduziert. Dies gilt summenmäßig als folgenlos, da künftig ja wirklich extrabudgetär vergütet wird. Macht eine Praxis allerdings in diesem Jahr sehr viele TSVG-Fälle und später – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr, ist die Folge eine Honorar-Schlechterstellung der Praxis.
Im Übrigen gehen alle TSVG-Konstellationen und die dabei erbrachten Leistungen normal in die Plausi-Prüfung ein. Allerdings wurden bisher weder in der Bedarfsplanungsrichtline (§ 51) die Anrechnungsfaktoren, noch in der Prüfrichtlinie die Quartalssummen angepasst, obwohl die Anhebung der Sprechstundenzahl beides eigentlich bedingt.
Was daraus folgt
Angesichts der zahllosen aktuellen Unwägbarkeiten ist es mindestens momentan wenig sinnvoll, die Praxis/das MVZ mit Verve, bzw. größerem Schulungsaufwand auf die neuen GOPs und Fallkonstellationen einzustellen.
Vernünftig scheint vielmehr, hier eine gewisse Abwarten-und-Tee-Trinken-Haltung einzunehmen, da man sich mindestens für die nächsten Monate damit nichts vergibt, auf konkretere Informationen der eigenen KV zu warten.
Dies gilt natürlich nicht für die Pflichten, die vom TSVG auferlegt sind:
- Meldung von freien Zeiten an die Terminservicestellen
- Sprechstundenangebot von mindestens 25 Stunden je Woche und Vollzeitarzt, davon 5 offene Sprechstunden bei bestimmten Arztgruppen – wobei die Sprechstundenzeiten 1.) der KV zu melden und 2.) auch von der Praxis selbst (Homepage, Praxisschild, etc.) zu veröffentlichen sind.