Diskriminierung angestellter Ärzte über die Zeitplausibilitätsprüfung

Stellungnahme & Meinungsäußerung

In bisher drei KV Regionen wird die allgemeinen Prüfrichtlinie nach § 106a SGB V aktuell so ausgelegt, dass für angestellte Ärzte eine um ein Drittel gekürzte Quartalsprüfsumme in Höhe von 520 h (statt 780 h) als Aufgreifkriterium zur Anwendung kommt.

In der Konsequenz geraten MVZ und Praxen mit angestellten Ärzten in Berlin, Hessen und Bayern verstärkt in regressbewehrte Prüfverfahren. Eine Praxis, die nicht nur dem Gleichbehandlungsgebot widerspricht, sondern die auch – nach Meinung des BMVZ – mit den zugrunde liegenden Rechtsnormen nicht vereinbar ist.

Worum geht es?

Bewertung & Konsequenzen

Von der KV Bayern wurden dabei – auch in Konsequenz der BMVZ-Aktivitäten – nach Einschreiten der Rechtsaufsicht im Frühjahr 2013 alle sich auf die verkürzte Quartalsprüfsumme beziehenden Prüfbescheide für die Jahre 2008 und 2009 eingestellt. Ein erster Erfolg, der sowohl für die weiteren betroffenen KV-Regionen aber auch die nachfolgenden Quartale hoffen läßt.

Kurzüberblick zu Thema und Problemstellung

Eine ausführliche Betrachtung des vorliegenden Sachverhalts, der rechtlichen Hintergründe sowie der konkreten Umsetzungsproblematik steht nachfolgend für Mitglieder zum Download bereit:

Stellungnahme zur Frage der Ungleichbehandlung angestellter Ärzte durch reduzierte Quartalsprüfsummen als Aufgreifkriterium in der regelhaften Zeitplausibilitätsprüfung


Weiterführende Links:

Aufsicht weist KV in die Schranken
(Ärzte Zeitung vom 24.06.2013)

Plausiprüfung: Werden Ärzte benachteiligt?
(ÄrzteZeitung vom 17.5.2013)

Diskriminiert KV-Bayerns MVZ-Ärzte
(ÄrzteZeitung vom 8.6.2012)

Wie lange malochen MVZ-Ärzte in Bayern
(Arzt & Wirtschaft vom 4.10.2012)

Statement der KV Bayerns zur Kritik des BMVZ an der Anwendung der Plausibilitätskontrollen in Bayern (vom 13.6.2012)

 


Worum geht es?

Nach § 8a Absätze 1 und 2 der Richtlinien gemäß § 106a SGB V können die Kassenärztlichen Vereinigungen bei angestellten Ärzten in Arztpraxen und MVZ „die Abrechnung der Arztpraxis auch daraufhin prüfen, ob die für die angestellten Ärzte genehmigten Arbeitszeiten eingehalten worden sind.“ Wie diese Überprüfung erfolgen soll, ist nicht näher geregelt – im Ganzen handelt es sich um eine sogenannte Kann-Vorschrift, die als ergänzender Einschub zum regelhaften Prüfmodus nach § 8 der Richtlinie formuliert ist.

Die Plausibilitätsprüfung als solche beruht hinsichtlich der zeitlichen Plausibilität auf den im Anhang 3 zum EBM hinterlegten Prüfzeiten, die von den KVen verbindlich zu Grunde zu legen sind. Darum, inwieweit diese Vorgabe des § 8 Absatz 1 der Richtlinie auch für die ergänzende Prüfung der Einhaltung der Arbeitszeit angestellter Ärzte verbindlich und vor allem geeignet ist, dreht sich im Kern der Diskurs zwischen angestellten Ärzten und ihren KVen in Berlin, Hessen und Bayern.

Die von den drei genannten KV gewählte Umsetzung des § 8a Absatz 2 wirft – zusätzlich zu den rechtlichen Bedenken – vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs die Frage auf, mit welchen Mitteln eine nicht näher in den Praxisablauf eingebundene Organisation wie die Kassenärztliche Vereinigung in geeigneter, bzw. verhältnismäßiger Weise die Einhaltung der Arbeitszeiten kontrollieren kann.

Unter Anderen wegen der mit einer Antwort auf diese Frage verbundenen Schwierigkeiten wurde bei der Anpassung der Prüfrichtlinie in 2008 gerade dieser Passus von einer ’sind-zu-prüfen-Vorgabe‘ (§ 11 Absatz 3 a.F.) in eine ‚kann-geprüft-werden-Ermächtigung‘ (§ 8a Absatz 2 n.F.) überführt und damit für die KVen unverbindlich gestaltet.

Im Ergebnis kann – soweit es um die Frage der Einhaltung der Arbeitszeiten geht – keine Rede von einer gesetzlichen Prüfverpflichtung oder der verbindlichen Vorgabe, die Prüfzeiten nach EBM für die Arbeitszeitprüfung heranzuziehen, sein.

Dem entspricht, dass – nach unserem Kenntnisstand – mit Berlin, Hessen und Bayern nur drei der siebzehn KVen den § 8a Absatz 2 Prüfrichtlinie mit für angestellte Ärzte eigenständigen Aufgreifkriterien im Rahmen der regulären Plausibilitätsprüfung und auf Basis der EBM-Prüfzeiten umsetzen.

Im Übrigen sind nach Einschreiten der Rechtsaufsicht in der KV Region Bayern alle diesbezüglich die Abrechnungsjahre 2008 und 09 betreffenden Prüfverfahren eingestellt worden. In einem dem BMVZ vorliegenden Schreiben vom 9.4.2013 legt das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit seine Rechtsauffassung wie folgt dar:

„Das Staatsministerium hatte gegenüber der KVB bezüglich der Anwendung eines in der Richtlinie nicht unmittelbar vorgesehenen Aufgreifkriteriums von 520 Stunden pro Quartal bei angestellten Ärzten rechtliche Bedenken geäußert. (…) Nach unserer Auffassung reicht § 8a der Richtlinie zu § 106a SGB V zudem generell nicht als Rechtsgrundlage für das vorliegend zur Anwendung gebrachte … Aufgreifkriterium von 520 Stunden pro Quartal bei angestellten Ärzten aus.“

Konsequenzen & Bewertung

Das Vorgehen, über die Plausibilitäts-Prüfzeiten bei angestellten Ärzten Honorarrückforderungen durchzusetzen, ist inhaltlich und rechtlich ausgesprochen fragwürdig und stellt im Ergebnis eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar. In diesem Zusammenhang muss vor allem die Eignung der Plausibilitätsprüfung nach Zeitprofilen als Kontrollmittel für die Einhaltung der Arbeitszeit angestellter Ärzte ernsthaft in Frage gestellt werden.

Die derzeitige Prüfzeitensystematik ist als Mittel der Kontrolle der Arbeitszeiteinhaltung nicht angemessen, da nicht geeignet. Sie führt zu unnötigen Meldungen falsch-positiver Auffälligkeiten, die bei den betroffenen Praxen und MVZ mit angestellten Ärzten enormen Nachweisaufwand im Prüfverfahren verursachen und in nicht wenigen Fällen zu tatsächlichen Regressen führen. Dies nicht, weil hier gegen Abrechnungsbestimmungen verstoßen wurde, sondern weil über den Umweg der Zeitplausibilität die ärztliche Tätigkeit in Anstellung gezielt unwirtschaftlich gestaltet wird.

Die Messung der Zeitplausibilität und die Frage der Einhaltung der Arbeitszeiten sind vor dem dargestellten Hintergrund grundsätzlich voneinander zu trennen. Von daher ist in der Summe der Argumente keine Notwendigkeit, für angestellte Ärzte eigene Prüfsummen anzusetzen, zu erkennen. Vielmehr wird so für die Betroffenen die Bürokratie erhöht und durch die erhöhte Regressgefahr die wirtschaftliche Existenz bedroht.

In jedem Fall ist der verkürzte Analogieschluss von den 780 den niedergelassenen Ärzten fiktiv als Quartalsprüfsumme zugemessenen Stunden auf 520 Real-Stunden für angestellte Ärzte von der Herleitung her grob fehlerhaft und somit absolut unzulässig.

Sachlich und pragmatisch begründet, ist daher auch in den betroffenen KVen Berlins, Hessens und Bayerns für angestellte Ärzte die regelhafte Prüfsumme von 780 Stunden wieder zur Anwendung zu bringen. Denn, wenn angestellte Ärzte lediglich zwei Drittel der Leistungen ihrer niedergelassenen Kollegen erbringen dürfen, bleibt nicht nur die Versorgung der Patienten auf der Strecke, sondern auch die notwendige Wirtschaftlichkeit solcher Stellen für den Arbeitgeber.

Die Politik des Gesetzgebers, flexible Anstellungsverhältnisse zu ermöglichen, wird somit mit dem in dieser Form fadenscheinigen Argument der Kontrolle der Arbeitszeiteinhaltung gezielt unterlaufen.