Modernisierung der ambulanten Medizin
– Strukturvielfalt als Zukunftstrend

Zur Gesetzgebung und ihren Auswirkungen auf die ambulante Versorgung

Berlin – Unter der Überschrift Strukturen im Wandel drehte sich der der 3. BMVZ-Strategiekongress am 08. Juni 2016 in Potsdam en Detail um die Fragen der aktuellen Gesetzgebung und ihre Folgen für die ambulante Versorgung. Dabei ging es um den durch die Gesetzgebung der letzten zwölf Monate stark in Bewegung geratenen Normenrahmen, in dem sich die ambulanten Versorger von heute morgen werden bewegen müssen.

Parallel zum Eröffnungstag des Hauptstadtkongress, nur zehn Kilometer entfernt,  mit einer eigenen Veranstaltung anzutreten, stellte den Bundesverband MVZ e.V. (BMVZ) bei seiner Planung vor eine besondere Herausforderung – die mit Bravour gemeistert wurde. Brisante Themen und praxisnahe Referenten lockten über 100 Teilnehmer in die Räumlichkeiten der Villa Bergmann.

Gesundheitspolitische Betrachtungsweisen standen bei der Eröffnungsrunde im Vordergrund. Dr. Bernd Köppl, Vorstandsvorsitzender des BMVZ führte das Publikum mit seiner Analyse und Prognose zur gegenwärtigen Lage der kooperativen Strukturen in den Tag. Dr. Andreas Meusch, Direktor WINEG, stellte in seinem Beitrag die Digitalisierung von Patientendaten und deren Konsequenz, insbesondere auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit kooperierender Partner in den Mittelpunkt. „Raus aus dem Schneckenhaus – weg vom „Einzelkämpfer“ hin zu mehr Kooperation.“, war die mehrfache Forderung Armin Langs, Inhaber der LangConsult. In seinen Augen seien überall sozialrechtliche, sektor- und professionsübergreifende Versorgungsoptimierungen nötig.

Hautnah an und in der Praxis berichtete Jörn Dieterich, Psychotherapeut und Geschäftsführer eines MVZ in Uelzen, von seinen Erfahrungen, wie weit sinnvoll angedachte Strukturvorhaben und nicht praktikable Umsetzung auseinander gehen können. Besonders plastisch darstellen konnte er dies am Beispiel „Behandlungszentren für Erwachsene mit Behinderung“ (MZEB) nach § 119c SBG V. Hierbei geht es um die Möglichkeit der Ermächtigung als MZEB zu fungieren. Er sprach von seiner Erfahrung der Unmöglichkeit, diese besondere Versorgungsform in das Konzept seines MVZ zu integrieren, da dies aus Sicht des Gesetzgebers unzulässig sei und nur über die Gründung einer eigenen Träger-GmbH zu bewerkstelligen. Dies wurde von juristischer Seite nicht nur bestätigt, sondern durch weitere Sachverhalte untermauert, die jeglichen Kooperations- und Fördergedanken ad absurdum führen. Betrachtet man z.B. diejenigen medizinischen Gruppen, die sinnvollerweise zur Behandlung von Behinderten miteinander kooperieren könnten, so fallen die Allgemeinmediziner aus dem Kreis heraus, da gesetzlich nur Fachärzte als Kooperationspartner zugelassen sind.

Der Beitrag zu „Kooperation und Korruption“ zeigte erneut den schmalen Grad, auf dem sich Kooperierende bewegen. Beleuchtet wurde vor allen Dingen auch, wie ein Gesetz in das andere übergreift. In gedanklicher Verknüpfung des Anti-Korruptionsgesetzes mit dem Entlassmanagement nach § 39 Abs. 1a SGB V, das RA Jörn Schroeder-Printzen aus Potsdam vorstellte, ergibt sich beispielsweise ein Spannungsfeld bei der vom Gesetzgeber vorgesehenen Kooperation zwischen Krankenhaus und Vertragsarzt. Denn wie sieht die kooperative Regelung aus, stellt man ihr das Zuweisungsverbot gegen Entgelt gegenüber?

Bei den Diskussionen um die Strukturreformen und deren Umsetzung wurde auch auf das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG), die Pflegestärkungsgesetze und E-Health eingegangen. So spitzen die Zuhörer bei dem Beitrag zur geplanten E-Health Regelung insbesondere die Ohren, als es darum ging, dass die Nicht-Umsetzung z. B. das Nicht-Abgleichen von Versichertenstammdaten, einen Honorareinbehalt von 1% bis zur Umsetzung nach sich ziehen werde. Ausgiebig diskutiert wurde die Frage, wem bei Ein- und Fortführung der elektronischen Patientenakte, die Daten gehören werden. Die eindeutige Antwort ist: Dem Patienten. Doch wie wird die Dokumentation und Verwaltung dieser Daten aussehen, wenn der Patient mehr und mehr das Recht auf Zugriff und Freigabe seiner Daten erhalten wird?

Mit besonderer Spannung erwartet wurde am Nachmittag u. A. der Beitrag des Juristen Dr. Andreas Penner zur aktuellen Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Änderung der Rechtspraxis bei Sitzeinbringung ins MVZ. Seit Anfang Mai diskutiert die MVZ-Welt den Terminbericht, nach dessen Inhalt ein Arzt, der seinen Sitz in ein MVZ einzubringen gedenkt, anschließend für mindestens drei Jahre nach der Einbringung auf diesem Sitz tätig sein muss. Drei Jahre sind eine lange Zeit sowohl für den einbringenden Arzt, als auch das beteiligte MVZ. Besonders brisant an der Situation ist, dass, obwohl derzeit noch jegliche Begründung fehlt, bereits die ersten Zulassungsausschüsse anfangen, die Entscheidung des BSG umzusetzen. Daraus ergeben sich Fragen über Fragen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekulativ beantwortet werden können.

Zu guter Letzt wurden über die seit letztem Sommer offen stehende Möglichkeit, nach §95 SGB V fachgleiche MVZ gründen zu können, explizit die Zahnärzte angesprochen. Gerade aus deren berufsständischen Vertretungen werden Ressentiments gegenüber MVZ laut – Argumente, die dem BMVZ aus den Anfangsjahren nach Zulassung der MVZ  in 2004 nur allzu bekannt sind. Umso spannender die Ausführungen eines Münchener Zahnarztes, der auf die positiven Möglichkeiten, die MVZ mit sich bringen, aber auch auf die Gefahren, die sich aus Gründungswiderstand oder gar Verzicht ergeben könnten, aus eigener Erfahrung hinwies.

Dr. Bernd Köppl identifizierte in seiner Analyse zur Modernisierung der ambulanten Medizin drei zukunftsweisende Megatrends, mit denen sich das Gesundheitssystem konfrontiert sehen wird. „Die Anforderungen der demografischen Entwicklung, die Auswirkungen des medizinischen Fortschritts und telemedizinischer Verfahren, sowie die Feminisierung in der Medizin und die Änderung des Berufsbilds ‚Arzt‘ stellen uns vor strukturelle Veränderungen. Darauf müssen sich die Gesundheitspolitik und Selbstverwaltung einstellen und sich in den bestehenden Gegebenheiten nach und nach anpassen“.

Versorgt mit einer Vielzahl an neuen Informationen und daraus resultierendem hohem Gesprächsbedarf nutzten die Kongressbesucher das schöne Wetter, um in der idyllischen Umgebung der Bergmannvilla am  Tiefen See miteinander ins Gespräch zu kommen und ausgiebig zu netzwerken. So verließen die Tagungsteilnehmer die Veranstaltung mit vielen Antworten, hinterließen dem BMVZ jedoch auch neu zu bearbeitende  Fragen und inhaltliche Anregungen für die weitere Verbandsarbeit .


Eine gute Basis für die Planung des  10. BMVZ-Praktikerkongress am 16. September 2016 in Berlin. Dieser steht unter dem Motto: Hauptsache Kooperation. Praxisvielfalt als Konzept. 


Die Vortragsdokumentation steht für Sie im Vortragsarchiv des Mitgliederbereiches zur Verfügung.

Vorträge und Referenten

Modernisierung der ambulanten Medizin:
Strukturvielfalt als Zukunftstrend
Dr. Bernd Köppl

Die andere Perspektive:
Die Versorgungslandschaft aus Zahlersicht
Dr. Andreas Meusch

Von der Kommune zum Bund:
Versorgungspolitik als gemeinsame Aufgabe
Armin Lang

Versorgungsrealität(en) zwischen eigenem Anspruch,
großer Politik & KV-Wirklichkeit
Dipl.-Psych. Jörn Dieterich

Anti-Korruptionsgesetz: Damoklesschwert
für die kooperative ambulante Versorgung?
Tjarko Schröder

Kooperation in Digital:
Das E-Health-Gesetz als Netzwerkmotor?
Pia Maier

VSG und KHSG:
Praktische Bilanz für ambulante Versorger
Susanne Müller

Aktuelle MVZ-Rechtssprechung des BSG – I
Dr. Andreas Penner

Aktuelle MVZ-Rechtssprechung des BSG – II
– Dr. Peter Velling

Ambulante Weiterbildung:
Das Potential des §75a SGB V
Prof. Dr. med. Jost Steinhäuser

Entlassmanagement:
Die Neuerungen des §39 Abs. 1a SGB V
– Jörn Schroeder-Printzen

MZEB – Behandlungszentren für Erwachsene:
Die Neuregelungen des §119c SGB V
Claudia Mareck

Fachgleich / Fachverschieden:
MVZ nach Neuregelung des §95 SGB V
– Dr. med. dent. Ruben Stelzner

Zur Vortragsdokumentation