TSVG-Sprechstundenvorgaben in der Umsetzung:
Tipps für MVZ & BAG

Mitte März 2019 hat der Bundestag unter Einbringung zahlreicher Änderungsanträge das TSVG verabschiedet. Folglich gilt für alle vertragsärztlich tätigen Mediziner, und damit auch für jedes MVZ, dass die neuen Vorschriften zum Sprechstundenangebot ab Mai 2019 einzuhalten sind. Die nachfolgende Analyse zeigt, dass sich dies in vielen Fällen nicht ganz so einfach umsetzen lassen wird, wie der Gesetzgeber sich das gedacht hat.

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(1) Probleme der korrekten Erfassung durch die KVen
(2) Handlungstipps für Leitung von MVZ & BAG
(3) Sonderthematik der offenen Sprechstunden

Aufsatz A+K Ausgabe April 2019
(4) PDF-Download ‚Praxistipps für MVZ & BAG‘


Normativer Hintergrund ist, dass der maßgebliche § 19a Absatz 1 der Ärzte-Zulassungsverordnung (ZV-Ärzte) von einem Satz mit zehn Wörtern um rund 150 weitere Wörter quasi aufgeblasen wurde.

Link zu Volltext von § 19a Zv-Ärzte

Inhaltlich wurde damit zum Einen die Vollzeittätigkeit eines Arztes neu darüber definiert, dass – statt 20 – mindestens 25 Stunden je Woche als Sprechstunde für GKV-Patienten anzubieten und zu veröffentlichen sind. Zum Zweiten wird allen fachärztlichen Grundversorgern aufgegeben, von diesen 25 Stunden jeweils mindestens fünf als offene Sprechstunde anzubieten.

Ausnahmen von der Pflicht zur Sprechstundenankündigung sieht der Bundesmantelvertrag bisher  nur für Anästhesisten und Belegärzte vor, nicht aber – darauf sei gesondert hingewiesen – für Labormediziner, Pathologen und ähnliche, eigentlich  patientenferne Fachgruppen.

Flankiert werden diese beiden neuen Vorschriften mit dem Auftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), deren Einhaltung auf Basis bundeseinheitlicher Kriterien jährlich zu prüfen.  Auch geregelt wurde, dass Verstöße mit Honorarkürzungen und – in schweren Fällen – mit teilweisem oder vollständigem Zulassungsentzug zu ahnden sind.


Es wäre fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass die die KVen ihre Prüfpflichten hier nicht ernstnehmen.


Erste Indizien sprechen denn auch dafür, dass bereits daran gearbeitet wird, diese Prüfung zu automatisieren. Sind doch im SGB V (§ 95 Absatz 3 i.d.F. des TSVG) zwei Kriterien angeführt, die ohnehin arztbezogen bei jeder Abrechnungsprüfung erfasst werden: Fallzahlen und Zeit-Plausibilitätssummen.

Beide Kriterien sind insbesondere für Kooperationen und für angestellte (Teilzeit-)Ärzte jedoch nicht unproblematisch.

Details zur Erfassungsproblematik bei MVZ und BAG

Hintergrund ist zum Einen die grundsätzlich bestehende Unschärfe der Erfassung des zeitlichen Echt-Aufwandes zu einer Gebührenordnungsposition (GOP), da die (gemäß § 87 Absatz 2 Satz 1 zweiter Halbsatz SGB V) hinterlegten Zeiten oftmals politisch ausgehandelt wurden, und folglich entweder zu kurz oder zu lang bemessen sind.

Zum Anderen sind die meisten GOP sogenannte Komplexziffern mit mehreren Leistungsinhalten. Sind dabei mehrere Ärzte beteiligt, gilt, dass der Fall und auch die gesamte Prüfzeit demjenigen Arzt zugerechnet wird, der die letzte obligate Leistung erbracht hat. Auch Spezialisierungen einzelner Ärzte, wie sie häufig vorkommen, wenn mehrere fachgleiche Ärzte kooperieren, lassen systematische Verzerrungen entstehen.

Im Ergebnis ist die Abbildung des Leistungsgeschehens gerade größerer Praxen und MVZ über die Betrachtung von arztindividueller Fallzahl und Plausibilitätssumme systembedingt oft fehlerbehaftet.

Ein zusätzliches Abbildungsproblem entsteht durch die Behandlungsfall-orientierung des EBM, wegen der die Behandlungen aller Ärzte im MVZ zu einem Fall gezählt werden. Dies führt regelhaft zu weitreichenden Ziffernausschlüssen zwischen den Fachgruppen, die nicht nur eine Minderhonorierung nach sich ziehen, sondern eben auch weitere Verzerrungen bei den Fallzahlen der einzelnen Ärzte bedingen.

Daher ist eine der ersten Fragen, die sich jeder Praxis-, respektive MVZ-Leiter insbesondere bei fachübergreifenden Kooperationen stellen sollte:


Wie lassen sich die Sprechzeiten der Ärzte nachweisfähig und unabhängig von der KV dokumentieren?


Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen – und alle Statistiken belegen dies – dass die Ärzte, auch die angestellten, die 25-h-Vorgabe bereits heute mehrheitlich erfüllen und übererfüllen. Häufig ist dies jedoch eben nicht, oder zumindest nicht sauber dokumentiert. Oder es handelt sich um regelmäßig stattfindende Arbeitszeiten, die sich an die regulären Sprechstunden anschließen, ohne indes als solche ausgewiesen zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, sich vor Augen zu halten, dass es dem Gesetzgeber vor allem darum geht, die Zahl der angekündigten  Sprechstunden zu erhöhen.

Handlungstipps:

  • Überprüfung und ggf. Anpassung der Organisation und Dokumentation von Dienst- und Personalplänen auf ihre  diesbezügliche Geeignetheit
  • eventuell Erwägung einer gesonderten Eigendokumentation der Sprechstunden, aber auch von Hausbesuchzeiten, die darauf angerechnet werden sollen
  • aktive Meldung der neuen/korrekten Sprechzeiten an die KVen – die entsprechende Verpflichtung trifft das MVZ als Zulassungsinhaber
  • Prüfung, ob die Angaben auf der eigenen Praxishomepage sowie den am und im Gebäude angebrachten Praxisschildern dazu synchron sind
  • Prüfung, ob bei Teilzeitärzten mit zeitlich genau abgestimmten Arbeitsverträgen diese eventuell angepasst werden müssen

Sonderthema ‚Pflicht zur offenen Sprechstunde‘

Getrennt von der für jeden Arzt geltenden 25-Stunden-Vorgabe wurde auch die Pflicht für einzelne Fächer eingeführt, offene Sprechstunden abzuhalten.

Diesbezüglich türmen sich die Fragezeichen, deren erstes hinter die Frage zu setzen ist, an wen sich die Vorschrift konkret richtet. In der Gesetzesbegründung benannt sind „z.B. konservativ tätige Augenärzte, Gynäkologen, Orthopäden und HNO-Ärzte.“ Gleichzeitig wird den Bundesmantelvertragspartnern aufgegeben innerhalb von drei Monaten nach Gesetzesverkündung überhaupt erst zu konkretisieren, welche Arztgruppen diese zusätzliche Verpflichtung trifft.

Aktuell scheint daher klar, dass diese Vorgabe unabhängig von der beispielhaften Nennung in der Gesetzbegründung erst gilt, wen KBV und GKV-Spitzenverband entsprechende Regelungen getroffen haben. Klar ist nur, dass es nicht die Hausärzte und nicht die Psychotherapeuten betrifft.

Hierzu wird es dann gesonderte Informationen geben. Mit einer Geltung ist frühestens ab 1. August 2019 zu rechnen.

 


Der Text dieses Artikels entstand in
Anlehnung an den weiterführenden Aufsatz:

„TSVG: Die neuen Vorschriften zum
Sprechstundenangebot und ihre Umsetzung in MVZ“

– verfasst von
Dr. Milena Schaeffer-Kurepkat & Susanne Müller

– erschienen in der
Ausgabe 1/2019 von Arzt & Krankenhaus (Seiten 11 – 15)

PDF-Download des Aufsatzes (Volltext)

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