Eine Frage der politischen Kultur

Ein Sachstandsbericht mit Kommentierung

Im Oktober konnten wir berichten, dass seitens des Bundesge­sundheits­ministeriums beabsichtigt wurde, im Zuge des Selbst­verwaltungs­stärkungsgesetzes (GKV-SVSG) künftig ausnahmslos alle angestellten Ärzte hinsichtlich der KV-Mitgliedschaft mit ihren selbständigen Kollegen gleichzustellen. Dies ließ sich dem Referentenentwurf zum Gesetz entnehmen, womit eine vom BMVZ unterstützte Änderungsinitiative aufgegriffen worden war.

Die  gegen diese Gleichstellungsabsicht gerichtete Entrüstung der traditionellen Ärztelobby, die bekanntermaßen primär ein Selbstverständnis als Vertretung der niedergelassenen Vertragsärzte pflegt, war ebenso stark wie erwartbar. Und tatsächlich enthält die Kabinettsfassung des Gesetzentwurfes vom 16. November bereits einen Rückschritt hinter den Referentenentwurf.


Fakten zum Stand des
Gesetzgebungsverfahrens

Hintergründe zur Debatte
Vertragsarzt vs. Arbeitsvertragsarzt

Download des Kabinettentwurfs
des GKV-SVSG

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Überraschend ist jedoch, dass – trotz des erfolgten Zugeständnisses, § 77 SGB V nur so zu ändern, dass künftig alle Ärzte ab einer Minimum-Wochenarbeitszeit von zehn Stunden KV-Mitglied sind – jetzt die Proteste erst richtig loszugehen scheinen.

So hat der Freistaat Sachsen im November im Bundesrat einen Antrag zum SVSG eingebracht, in dem gefordert wird, die geplante Klarstellung in § 77 SGB V ganz zu streichen oder zumindest die Schwellengrenze, ab wann angestellte Ärzte Mitglied der KV werden, auf zwanzig Stunden raufzusetzen. Die Vermutung, dass die dem zugrundeliegende Initiative von der KV maßgeblich ausgelöst wurde, drängt sich auf. Interessant ist dabei insbesondere die Begründung:

„Die Mitgliedschaft ist nicht gerechtfertigt. (…) Die Selbstverwaltung lebt davon, dass die Rechte, die aus der Mitgliedschaft erwachsen, aktiv wahrgenommen werden. Mitglieder, die nur zehn Wochenstunden ambulant tätig sind, haben (auch durch ihre übrige Tätigkeit) kein Interesse eine Mitgliedschaft aktiv mitzugestalten.“

Aha. Gut dass man das so genau zu wissen meint.
Aber tatsächlich fand dieser Antrag sich am 1. Dezember 2016 in genau diesem Wortlaut auch in der offiziellen Beschlussempfehlung des Länder-Gesundheitsausschuss an den Bundesrat Eingang (-> BR 681/1/16 Ausschussempfehlung (PDF). Angestellte Teilzeitärzte wollen also gar nicht mitbestimmen – und einen Beleg für diese Behauptung liefert die Beschlussvorlage auch:

„Auch sind Klagen geringfügig beschäftigter angestellter Ärzte darüber, dass ihnen eine KV-Mitgliedschaft verwehrt bleibt, nicht bekannt.“

Im Ernst? Die ohnehin schon wagemutige Behauptung, dass angestellte Kollegen grundsätzlich kein Interesse an der KV-Arbeit haben, wird tatsächlich damit begründet, dass bisher kein betroffener Arzt den juristischen Klageweg dagegen beschritten hat?

Weshalb hätte das auch jemand tun sollen? Nach aktueller Rechtslage wäre ein solches Verfahren von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Daraus ein Argument zu basteln, dass auch für die Zukunft kein Bedarf bestünde, die gesetzlichen Vorgaben an die geänderten Rahmenbedingungen der ärztlichen Leistungserbringung – zu denen angestellte Ärzte nun einmal inzwischen voll dazugehören – anzupassen, darf man getrost als starkes Stück bezeichnen.

Für den Bund der Internisten (BDI) äußert Herr Dr. Spies in der Mitgliederzeitschrift BDI zudem das Gefühl, dass ‚bei aller Euphorie über diese Möglichkeiten das seitherige Vorgehen bei der KV-Beteiligung nicht zu Ende gedacht wurde.‘ (Quelle BDI Aktuell Ausgabe 12/2016)
Der Artikel mit dem Titel „Angestellte Ärzte: Schnappt die Disziplinarfalle zu?“ ist mit einer jungen Ärztin illustriert, die über eine Halsfessel an die KV, dargestellt als überdimensionierte Eisenkugel, gekettet ist.

Eine ausgesprochen interessante Bildwahl, die tief blicken lässt in das Verständnis, das Herr Spies, der ja auch beim Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands (Spifa) leitend aktiv ist, von der KV als ärztliche Selbstverwaltung hat.  Folgerichtig ist eigentlich – so ist dem Artikel sinngemäß zu entnehmen – das Hauptanliegen auch nur – sozusagen quasi uneigennützig – die angestellten Kollegen vor dem Durchgriffsrecht der KVen zu beschützen.

Wie edel! Jedoch geht der BDI-Präsident von der falschen Annahme aus, dass angestellte Ärzte hier also bisher eine Art Freifahrtschein hätten? Also bis dato nicht an das komplexe vertragsärztliche Regelwerk gebunden wären? Nehmen wir an dieser Stelle zugunsten des BDI und des Spifa einmal an, dass es sich hierbei um ein bloßes sprachliches Missverständnis handelt.

Ehrlich wird der Artikel aber dann doch noch an anderer Stelle:

„Bei einer weiteren Zahl der angestellten Ärzte ist übrigens denkbar, dass sie irgendwann die Mehrheit der Entscheidungsgremien erreichen und damit die wirtschaftliche Situation der Praxen entscheidend mitbestimmen können.“

Ja, stimmt! Und könnte das vielleicht der eigentliche Grund sein, weshalb viele Protagonisten des Arztverbandswesens gegen Mitgliedsrechte für angestellte Teilzeitärzte sind? Wovor hat man hier allerdings Angst: Dass die angestellten Ärzte in einer solchen KV eine Honorarpolitik machen würden, die sich gegen die selbständigen Vertragsärzte richtet? So wie jetzt die Mehrheit der Vertragsärzte in den KVen eine Politik macht, die sich allzu häufig in der Tendenz gegen neue Versorgungsformen und damit auch gegen angestellte Ärzte richtet?

Vielleicht ist es ja einfach auch nur an der Zeit, die Weichen für die Zukunft der KVen in der Form zu stellen, dass künftig alle KV-Ärzte wieder miteinander und füreinander Politik machen, statt beständig einzelne Fachgruppen und Versorgungsstrukturen untereinander auszuspielen? Möglicherweise könnten gerade die jungen Ärztinnen, die in überdurchschnittlicher hoher Anzahl eben jene Teilzeitärzte, um  deren Mitgliedsstatus es hier geht, darstellen, einen solchen Kulturwechsel anstoßen.

Denn tatsächlich geht es im Moment realistisch eben nicht um die Frage, ob angestellte Ärzte irgendwann einmal zahlenmäßig die selbständigen Kollegen dominieren. Sondern darum, wie die KV-Welt als Selbstverwaltungssystem mit ihren wichtigsten Protagonisten – den Ärzten – umgeht. Und darum, ob eine politische Kultur in den Gremien gelebt wird, die widerstreitende Interessen demokratisch einbezieht – oder eben mit Hilfe der Macht der momentan Starken ausschließt.

Das ist eine grundsätzliche Frage, an der sich die Vertragsärzteschaft messen lassen muss. Der – teils extrem polemisch geführte –  Streit um die Änderung des § 77 SGB V, und die drum herum geführten Debatten, sind  an dieser Stelle nur ein Symptom.


Fakten zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Im September 2016 hat das Bundesgesundheitsministerium einen ersten Entwurf für ein ‚Gesetz zur Stärkung der Handlungsfähigkeit und Aufsicht über die Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der GKV‘ veröffentlicht. Dieser Langtitel wurde in Selbstverwaltungsstärkungsgesetz oder SVSG abgekürzt und in diesen Bezeichnungen schnell geläufig.

Primär geht es in diesem Gesetz nach den zuletzt teils sehr öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Querelen innerhalb der ärztlichen Selbstverwaltungsgremien um Änderungen am Ordnungsrahmen, in dem sich die Spitzengremien des Gesundheitswesens einerseits und das BMG und die Ländergesundheitsministerien als Rechtsaufsicht andererseits künftig begegnen sollen. Die Änderung des § 77 SGB V, die von diesen großen Fragen nur am Rande berührt wird, ist vor diesem Hintergrund quasi zufällig in das SVSG mit reingerutscht.

Jedes Gesetz durchläuft vor seiner Verabschiedung mehrere institutionalisierte Phasen. Dazu gehören die Veröffentlichung eines ersten Referentenentwurfes, zu dem die Fachverbänden zur Stellungnahme eingeladen werden. Nach einer (eventuellen) Überarbeitung als Ergebnis dieser Anhörungsphase wird ein offizieller Gesetzentwurf vorgelegt, der von der Bundesregierung gemeinsam beschlossen wird und deshalb auch Kabinettsentwurf heißt.

Der Kabinettsentwurf wird dem Bundesrat und damit den Bundesländern zur Stellungnahme übergeben. Zeitgleich wird das eigentliche parlamentarische Verfahren eröffnet und die fachlichen Beratungen im Bundestag initiiert. An dieser Stelle befindet sich das SVSG momentan.

Am 22. September ist der Referentenentwurf des Gesetzes den Verbänden übermittelt worden.

Am 18. Oktober hat das BMG eine Verbändeanhörung dazu durchgeführt.

Am 17. November ist vom Bundeskabinett der an vielen Stellen geänderte Gesetzentwurf förmlich beschlossen worden.

Am 16. Dezember hat der Bundesrat seine förmliche Stellungnahme verabschiedet und dem Bundesgesundheitsministerium übermittelt.

Für den 23. Januar ist eine Sachverständigenanhörung durch den Bundestag geplant.


Weiterführende Informationen

Direktlink:
BMVZ-Artikel:
BMG greift Initiative zur Gleichstellung angestellter Ärzte auf

Download:
BMVZ-Problemaufriss Mitgliedsstatus angestellter Teilzeit-Ärzte

Verweis:
Gesundheitswirtschaft Heft 6/2016:
Wankender Riese – Ärzteschaft unter Anpassungsdruck
(Aufsatz liegt dem BMVZ als Print vor)

Direktlink:
BMVZ-Artikel:
Keine halben Sachen in Punkto Mitgliedschaft

Direktlink:
ÄrzteZeitung v. 11.4.2016:
Sind Ärzte in Teilzeit außen vor?