Die Abrechnung von ärztlichen Leistungen und das Honorarsystem ist besonders für fachübergreifende MVZ und BAGs sehr komplex. Um das Verständnis zu erleichtern, sind im Folgenden die wichtigsten Begriffe zusammengestellt. Außerdem wird beschrieben, wie sich die einzelnen Varianten der Fallzählung auf die Abrechnungspraxis in Einzelpraxis, MVZ und BAG auswirken.
Schnellzugriffe
Arztpraxis & Fallzählung
Arzt- und Behandlungsfall
Kooperationszuschlag
ArztgruppenfallForderung des BMVZ
Lesetipp
Förderung von Kooperationen: Theorie vs. Praxis
Allgemein:
Wie rechnet ein MVZ ab, bzw. wie wird es finanziert?
Voraussetzung für die Abrechnung von Leistungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ist die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Da sich MVZ über die Leistungseinnahmen der Ärzte finanzieren ist damit die vom Zulassungsausschuss erteilte Abrechnungsgenehmigung gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (‘Zulassung’ zzgl. Anstellungsgenehmigung) konstituierend.
Abrechnungsfähig sind Leistungen, die gemäß der geltenden Regelungen, d.h. vor allem nach EBM und regionaler Honorarverteilung (HVM), von den Ärzten des MVZ höchstpersönlich erbracht wurden. Igel- und Privatleistung werden auch im MVZ dem Patienten oder PKV-Versicherten direkt in Rechnung gestellt.
Hinsichtlich der Abrechnung gelten im MVZ alle Regeln für niedergelassene Ärzte analog. D.h. die MVZ unterliegen nicht nur ebenfalls den verschiedenen Plausibilitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen, sondern auch allen sonstigen Regeln und Vorschriften der ärztlichen Leistungserbringung.
Im Grunde rechnet ein MVZ genau wie eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis ab. Jeder im MVZ tätige Arzt bekommt ein Regelleistungsvolumen (RLV) zugewiesen. Die RLV werden zusammengerechnet und bilden das Budget für das gesamte MVZ.
Maßgebliche Bezugsgröße für die Honorierung ist der jeweilige ‚Fall‘, von dessen konkreter Definition damit wesentlich abhängt, wie viel Honorar ein Arzt erhält. Es macht somit einen evidenten Unterschied, ob eine Honoraranspruch einmal im Arztfall, im Arztgruppenfall oder im Behandlungsfall ausgelöst wird.
Konsequenterweise handelt es sich bei Entscheidungen zur Fallzählung, zum Kooperationszuschlag oder zu Honoraraspekten, die auf die Fallzählung Bezug nehmen, nicht allein um Honoraraspekte, sondern ganz klar auch um die politische Frage, wie kooperativ aufgestellte Leistungserbringer wirtschaftlich tätig sein können.
Hinweis: Die rechtliche Grundlage der nachfolgenden Erläuterungen ergibt
sich im Wesentlichen aus dem Bundesmantelvertrag (BMV-Ärzte).
Arztpraxis
Der Begriff der Arztpraxis beschreibt den Ort, an dem der Vertragsarzt oder Psychotherapeut oder das MVZ seine Tätigkeit ausführt. Arztpraxis meint also die Gesamtheit aller Ärzte, die gemeinsam in einer Betriebsstätte, die die ggf. vorhanden Nebenbetriebsstätten mit einschließt, tätig sind.
Eine Arztpraxis im rechtlichen Sinne ist somit auch das MVZ oder eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Bezieht sich folglich eine Honorarregelung auf die ‚Arztpraxis‘ wird stets – unabhängig von ihrer konkreten Größe – auf die komplette Praxisstruktur abgestellt. Ein Ärztehaus aus zehn Einzelpraxen und einer 2-Mann-BAG bestünde in diesem Sinne aus elf Arztpraxen, während dieselben Ärzte, im MVZ zusammengeschlossen, nur eine Arztpraxis darstellten.
Fallzählung
Letztlich ist die Fallzählung eine Messgröße, mit der abgebildet wird, wie viele Patienten eine Praxis, bzw. einen Arzt aufgesucht haben. Teilweise ist dafür auch der Begriff ‚Scheinzahl‘ gebräuchlich.
In der Regel entsteht ein Fall in der Form, dass ein Patient in der Praxis erscheint, seine Krankenversichertenkarte eingelesen wird und dann vom Arzt Leistungen erbracht und abgerechnet werden. Da im ambulanten Bereich eine quartalsweise Betrachtung vorherrschend ist, werden als Fall immer alle Leistungen eines Patienten im selben Quartal zusammengefasst.
Die Fallzählung ist grundsätzlich auch in KVen relevant, die inzwischen von der RLV-Systematik abgewichen sind. Denn viele Honorarzuschläge und -ausschlüsse, aber auch z.B. die Prüfung der Verordnung von Arzneimitteln oder der wirtschaftlichen Behandlungsweise richten sich nach der ‚Falldefinition‘.
Arztfall
Der Arztfall ist die Rechengröße für die Gesamtheit aller Kontakte eines Arztes am selben Patienten innerhalb eines Quartals.
Behandlungsfall
Mit dem Behandlungsfall wird die Gesamtheit der Kontakte aller Ärzte einer Arztpraxis am selben Patienten innerhalb des Quartals abrechnungstechnisch umschrieben. Seit Juli 2009 orientiert sich die Abrechnung am Behandlungsfall. Dies gilt für alle Ärzte und Praxisstrukturen – aufgrund der spezifischen Definition entfaltet diese Änderung jedoch in der Einzelpraxis keinerlei relevante Wirkung.
In BAG und MVZ werden dementsprechend in der Honorarperspektive jeweils alle gemeinsam tätigen Ärzte und Fachgruppen als Einheit abgerechnet. Hilfsmittel hierfür sind die sogenannten Betriebsstättennummern (BSNR), mit denen arztübergreifend der Ort der Leistungserbingung (= welche Arztpraxis) angegeben wird.
Kooperationszuschlag
Mit der Orientierung der Honorarabrechnung am Behandlungsfall entsteht für MVZ und BAG eine Honorarlücke, da Arztkontakte, die entstehen, weil ein Patient im Quartal mehrere Ärzte, bzw. Fachgruppen der Praxis aufsucht, nicht mehr abgerechnet werden können. Zum Ausgleich der dadurch bedingten Honorarverluste wurde der sogenannte Kooperationszuschlag eingeführt. Begrifflich handelt es sich hierbei um einen bewusst gewählten Euphemismus.
Denn er stellt keineswegs einen Zuschlag im Sinne eines ‚Mehr an Honorar‘ dar, sondern soll nichts weiter als die systematisch angelegte Honorardiskriminierung von Kooperationen ausgleichen. Dies erfolgt grundsätzlich unvollständig und in den 17 KV-Regionen in mittlerweile sehr verschiedener Höhe.
Aufsatz mit Beispielrechnung desselben MVZ in den 17 KVen
Arztgruppenfall
Der Arztgruppenfall vereint in sich Elemente der Arztfall- sowie der Behandlungsfallzählung. Faktisch werden dadurch arztgruppengleiche Kontakte des Patienten weiter als ein Behandlungsfall gewertet, während fachverschiedene Arztkontakte (Beispiel Besuch im Quartal bei Hausarzt & Chirurg) wie bei der Arztfallzählung jeweils einen Honoraranspruch auslösen.
Dieses Konzept wurde bereits im Jahr 2011 im Zuge der Überarbeitung der für fachübergreifende BAG und MVZ fatalen Honorarreform vom Sommer 2009 diskutiert. Jedoch entschied sich der Bewertungsausschuss damals lediglich für eine Veränderung der Zuschlagssystematik.
Erst in 2019, als die Frage stand, wie die mit dem TSVG in Aussicht gestellten Mehrhonorare praktisch umgesetzt werden sollen, wurde auf dieses ursprünglich vom BMVZ eingebrachte Konzept zurückgegriffen. Dies jedoch bezeichnenderweise begrenzt auf diejenigen Kontexte, in denen die Behandlungsfallorientierung fachübergreifenden Strukturen gegenüber klassischen Niederlassungspraxen vergleichsweise höhere Honorare ermöglicht hätte.
Sieht man über diesen im Grunde bedenklichen Zusammenhang jedoch hinweg, gilt:
Der Arztgruppenfall ist geeignet, das geschilderte ‚Honorarproblem‘ (s.o. Behandlungsfall) systematisch zu beheben. Es setzt auch – betrachtet man die Anreizeffekte aus der Sicht des Gesamtsystems – die absolut richtigen Honoraranreize und würde die Diskriminierung im Honorarsystem gegenüber kooperativ tätigen Einrichtungen beenden.
Forderung des BMVZ
Die aktuelle Auseinandersetzung muss entsprechend zum Anlass genommen werden, die Anwendung des Arztgruppenfalls im Minimum auch auf weitere Kontexte – wie die fachärztliche Grundpauschale (PFG) oder den Laborwirtschaftlichkeitsbonus – auszudehnen.
Weitergehende Forderung ist es jedoch, das komplette Honorarsystem auf den Arztgruppenfall umzuorientieren, wodurch implizit auch das komplizierte Zuschlagssystem für MVZ (s.o. Kooperationszuschlag) ersatzlos entfallen könnte. Notwendig wäre lediglich, die zehnprozentige Zuschlagspauschale für diejenigen BAG oder MVZ-Abteilungen fortzuführen, bei denen dieselbe Fachgruppe durch mehrere Ärzte, die zusammen im Umfang von mehr als einem ganzen Versorgungsauftrag tätig sind.
Folge wäre ein deutlich einfacheres und transparentes Honorarsystem, bei dem Leistungen unabhängig davon, ob sie durch Ärzte in Einzelniederlassung oder durch kooperativ tätige Ärzte erbracht würden, gleich vergütet würden.
Pressemeldung des BMVZ v. 13. Dezember 2019
BMVZ begrüßt Einführung des Arztgruppenfalls und
fordert Ausdehnung auf weitere Zusammenhänge