BMVZ-Statement nach
BSG-Entscheidung zur Sitzeinbringung

BMVZ fordert nach der umstrittenen BSG- Entscheidung zur Einbringung ärzt­licher Zulassungen in MVZ/BAG den Gesetzgeber auf, wieder Rechtssicherheit herzustellen.

Gleichzeitig werden die Zulassungsausschüsse aufgerufen, an der bisherigen Spruchpraxis festzuhalten.


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Mit der BSG-Entscheidung B 6 KA 21/15 R vom Mai 2016 und der kürzlich nach­ge­reich­ten ausführlichen Begründung wurde seitens des Gerichtes für das soge­nann­te Sitzeinbrin­gungs­verfahren nach § 103 4a SGB V eine neue und hohe rechtliche Hürde aufgebaut, die sowohl der bisherigen Spruchpraxis der Zu­lassungs­ausschüsse als auch der gesetzgeberischen Intention zuwider läuft. Dies betrifft neben MVZ auch alle niedergelassenen Ärzte und Berufsaus­übungs­gemeinschaften, die über die dazu analogen Regelungen des § 103 4b SGB V Ärzte bei sich anstellen (wollen).

Die Entscheidungsgründe zeigen, dass das BSG zu verhindern versucht, dass über den Weg der Sitzeinbringung das Ausschreibungsverfahren missbräuchlich umgangen wird, wie dies in einem Einzelfall bekannt wurde. Solche missbräuchlichen Nutzun­gen zulassungsrechtlicher Verfahren stellen aber Einzelfälle und nicht die Regel dar. Jede BAG oder MVZ möchte – wie vom Gesetzgeber bei Schaffung dieser Option auch vorgesehen – im Regelfall über den eingebrachten Sitz dauerhaft die Versorgung sicherstellen. Jedoch verlangt das BSG künftig von den Beteiligten verbindliche Planungen, für Zeiträume, die in dieser Länge kaum planbar sind. Aus diesem Grund geht die vom Bundessozialgericht implementierte Verfahrens­er­schwernis, nach der den einbrin­genden Arzt eine Weiterbeschäftigungsverpflichtung von drei vollen Jahren trifft, auch eindeutig über den Willen des Gesetzgebers hinaus.

Die BSG-Entscheidung berührt zwar nicht den eigentlichen Prozess der Sitzein­bringung, verändert aber die bisherige Rechtspraxis, wie ein einmal eingebrachter Sitz mit einem anderen Arzt nachbesetzt werden kann. Das ist gravierend, da jede Einbringung auch eine – nicht nur materielle – Investition aller Beteiligten in die Zukunft darstellt. Die Rechtsunsicherheit, wie künftig die ersten drei Jahre ver­lau­fen, führt zu einem deutlich erhöhten Betriebsrisiko auf Seiten der aufnehmen­den MVZ und BAGs mit angestellten Ärzten. Dies gefährdet die kontinuierliche Fort­führung der Versorgung über den Weg der Einbringung.

Zur Begründung der Bindungsfrist von drei Jahren an die Person des einbringenden Arztes zieht das BSG eine Analogie zu den Rechtsvorschriften hinsichtlich des Abbaus von Überversorgung durch Sitzstilllegung – obwohl diese in bewusster Entscheidung des Gesetzgebers gerade nicht auf Anstellungsvorgänge Anwendung finden sollen.  In der BSG-Begründung wird dazu ausgeführt:

„Der Senat orientiert sich vielmehr in der § 103 Abs. 3a Satz 5 i.V.m Satz 3 und Abs. 4 Satz 5 Nr. 6 SGB V i.d.F des GKV-VSG zu Grunde liegenden Wertung: Die Privilegierung von Bewerbern, die bereits als Angestellte in der Praxis des bisherigen Vertragsarztes tätig waren oder die Praxis mit diesen gemeinschaftlich betrieben haben, wird dort an eine Kooperation mit einer Dauer von zumindest 3 Jahren gebunden, um zu verhindern, dass die Regelungen zum Abbau von Überversorgung durch ein nur kurzzeitiges Anstellungs- oder Jobsharing-Verhältnis gut war, umgangen werden (…).“

Die Folgerung des Gerichtes, dass dieser Gedanke auf die Anstellungsgenehmigung nach § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V übertragen werden könne, ist jedoch nicht sachgerecht und widerspricht eindeutig dem Willen des Gesetzgebers, der die Option der Sitzeinbringung zwecks Anstellung bewusst abweichend zum Ausschrei­bungs­verfahren gestaltet hat. In § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V ist entsprechend klar festgelegt, dass Nachbesetzungen in einem  Anstellungsverhältnis grundsätzlich bedarfsplanungsneutral erfolgen und „deshalb möglich [sind], auch wenn Zulassungs­beschränkungen angeordnet sind.

Unter Negierung dieser Vorgabe postuliert das BSG stattdessen eine fragwürdige Ver­knüpfung von angestellter Tätigkeit und der Möglichkeit der Nachbesetzung einer genehmigten Arztstelle die erhebliche Rechtsunsicherheiten schafft:

„Die Genehmigung wird dem MVZ nicht erteilt, um ihn die Möglichkeit zu geben, die Stelle ohne Genehmigung an die Auswahlentscheidung eines Zulassungsgremiums zu besetzen, nachzubesetzen oder nach § 95 Abs. 2 Satz 8 letzter Teilsatz, Abs. 9b SGB V in eine Zulassung umzuwandeln, sondern weil der Vertragsarzt dort als Angestellter tätig werden möchte. „Nach Ablauf von 3 Jahren der Tätigkeit dieses Arztes im MVZ kann davon ausgegangen werden, dass die gesetzlich vorgegebene Gestaltung auch tatsächlich gewollt und gelebt worden ist.“

Mit diesem rein zulassungsrechtlich orientierten Ansatz verlängert das BSG die Arbeitsverpflichtung für Arzt und ärztlichem Arbeitgeber für beide Seiten auf einen fünffach längeren als gemeinhin üblichen Zeitraum. Die Frage, was ist, wenn Arbeitgeber oder ärztlicher Arbeitnehmer feststellen, dass sie nicht zueinander passen – wofür Probehalbjahre vereinbart werden – oder wenn es sogar zwingende arbeitsrechtliche Gründe für eine vorzeitige Trennung gibt, bleibt vom BSG nicht nur unbeantwortet, sondern fällt explizit auch nicht unter den ansonsten formulierten Ausnahme­tatbestand der lebensverändernden Umstände.

Die BSG-Entscheidung verhindert somit für die Zukunft nahezu die normale Inte­gra­tion von Zulassungen nach § 103 Abs. 4a oder 4b SGB V, weil die häufig älteren Ärzte, die ihre Zulassung (und eben ihre Person) einbringen, wegen der Unwägbarkeiten des Lebens keine dreijährige Weiterarbeit verbindlich zusagen können oder wollen. Die in der Entscheidungsbegründung vorgesehen Ausnahme im Falle plötzlich eintretender lebensverändernder Umstände  ändert an diesem Faktum nichts.


Der BMVZ fordert daher den Gesetzgeber auf, seinen ursprünglichen Willen mittels einer Klarstellung im SGB V unzweideutig zu formulieren und die in Folge des BSG- Urteils entstandene Rechtsunsicherheit wieder zu beenden.

Die Intention des BSG zur Verhinderung von Gestaltungsmissbrauch aufgreifend, hält es der BMVZ in diesem Zusammenhang für denkbar, die geforderte 3-Jahresbindung eines Sitzes bei Einbringung nicht an die Person des einbringenden Arztes sondern an den neuen Zulassungsträger zu koppeln. Dadurch würde der Umgehungstatbestand der kurzfristigen Wiederauslösung eines Sitzes im Sinne des BSG rechtlich verhindert.

Gleichzeitig muss die bisherige, weitgehend einheitliche Spruchpraxis der Zulassungs­ausschüsse, nach der der eingebrachte Sitz nach sechs Monaten – die im Einklang mit dem Arbeitsrecht stehen – nachbesetzungsfähig ist, mit Gesetzesrang in das SGB V aufgenommen werden. Zusammengenommen würde so die kontinuier­liche Patien­ten­ver­sorgung im Rahmen des normativ Regelbaren auf Dauer gewährleistet.

Bis zu einer solchen gesetzlichen Klarstellung sind die Zulassungsausschüsse auf­ge­fordert, an Ihrer bewährten Spruchpraxis festhalten und insbesondere das eigent­liche Einbringungsverfahren auch künftig nicht von vornherein mit der Annahme des Gestaltungsmissbrauches zu verbinden. Vielmehr ist von einem langfristigen Verbleib des Sitzes ausgehen, wobei begründete Übergänge der Arbeitsstelle auf eine andere Person wie bei jedem Nachbesetzungsverfahren auch weiterhin zulässig sein müssen.


Download: Pressestatement des BMVZ

 


Fakten & rechtliche Hintergrundinformationen zur Entscheidung

Download: Erste Analyse – erstellt für den BMVZ
von RA Jörn Schroeder-Printzen
vom 18. September 2016


Download: Pressemitteilung des BMVZ
Überschießende Reaktionen einzelner Zulassungsausschüsse
verursachen Rechtsunsicherheit!
vom 22. Mai 2016


Weitere Informationen und eine erste Einschätzung des BMVZ:
Ankündigung des BSG: Änderung bei Rechtspraxis
der Sitzeinbringung ins MVZ
vom 13. Mai 2016