Zehn Stunden sind mehr als halbtags

Kleine Änderung – Große Wirkung

§ 77 Absatz 3 SGB V regelt die Mitgliedschaft für Ärzte im System der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Bis dato hieß es da: „Voraussetzung der Mitgliedschaft angestellter Ärzte in der für ihren Arztsitz zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ist, dass sie mindestens halbtags beschäftigt sind.“

Mit dem Beschluss des Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes (GKV-SVSG) am 26. Januar 2017 wurde dem entgegen in § 77 Absatz 3 SGB V das kleine Wörtchen „halbtags“ durch „mindestens 10 Stunden pro Woche“ ersetzt.

Wortlaut und Synopse § 77 SGB V


Das Inkrafttreten der Regelung ist mit Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt für Anfang März 2017 vorgesehen.

Angestellte Ärzte finden dadurch weitere Anerkennung in der Gesundheitspolitik. Der Status ihrer Mitgliedschaft innerhalb des KV-Systems ist nun unmissverständlich und bundeseinheitlich geregelt. Nach vielen Bemühungen, Gesprächen und schriftlichen Eingaben ist das jetzt amtlich und der BMVZ begrüßt den geschlossenen gesetzlichen Konsens.


Hintergründe zur Debatte
Vertragsarzt vs. Arbeitsvertragsarzt
Bundestagsarchiv
– Dokumente zum GKV-SVSG
Fakten zum Gesetzgebungsverfahren

Weiterführende Links


Zehn Stunden sind mehr als halbtags ist eine Rechnung, die sich vielleicht nicht jedem sofort erschließt. Für angestellte Ärzte und ihre Arbeitgeber ist diese Aussage jedoch eindeutig. Eine Wochenarbeitszeit von mindestens 10 Stunden pro Woche bedeutet für jeden in Teilzeit arbeitenden Arzt die volle KV-Mitgliedschaft – mit allen Rechten und Pflichten.

Die Pflichten waren schon in der Vergangenheit nicht Gegenstand der Diskussion. Sie betreffen von je her ausnahmslos jeden am ambulanten Versorgungssystem zu Lasten der GKV teilnehmenden Arzt – etwa die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung, zur Teilnahme an den Bereitschaftsdiensten oder auch zur Zahlung der Verwaltungskostenumlage, die faktisch einen Mitgliedsbeitrag darstellt.

Doch bedeutete dies für in Teilzeit arbeitende Ärzte nicht automatisch auch die Teilhabe an Mitbestimmungsrechten. Vielmehr wurden viele angestellte Ärzte gezielt von den gestaltenden Organisationen der KV- Welt – den Vertreterversammlungen und den Fachausschüssen – ausgeschlossen.

In Vorbereitung auf die im letzten Jahr bundesweit durchgeführten KV-Wahlen und vor dem Hintergrund des Bemühens des BMVZ, die angestellten Ärzte in Richtung einer aktiven Mitgestaltung ihres regionalen KV-Systems zu motivieren, musste der Verband feststellen, dass diese Ausschlüsse, die letztlich auf die „Halbtags“-Formulierung im SGB V zurückgehen, in den einzelnen KVen einen teilweise großen Auslegungsspielraum fanden.

Denn, was bitte ist eigentlich halbtags?

Keine halben Sachen in Punkto KV-Mitgliedschaft


Einige wenige KVen orientierten sich bislang bei der Formulierung am hälftigen Versorgungsauftrag, der eine Mindestbeschäftigung von 10,5 Stunden vorsieht. Die weit größere Zahl der KVen maß jedoch „halbtags“ an der theoretischen 40 Stunden-Woche. Halbtags waren somit automatisch mindestens 20 Stunden – und dies schloss alle Ärzte mit weniger Wochenarbeitsstunden als Mitglied und Mitbestimmer (gezielt?) aus.

Nicht unwesentlich – denn immerhin hängt von der KV-Mitgliedschaft eines Arztes ab, ob er aktiv handeln, sprich sich selbst zur Wahl stellen, oder einen Vertreter wählen darf.

Als Interessensvertreter der ambulant-kooperativen Versorger begann der BMVZ gegen diese Ungleichstellung vorzugehen. KV-Wahlordnungen wurden systematisch analysiert und die jeweiligen Auslegungen dokumentiert. In die Argumentation floss auch ein, dass die Definition für niedergelassene und ermächtigte Ärzte keinerlei Stundenvorgabe für eine Mitgliedschaft vorsieht. Stellungnahmen wurden geschrieben und mit maßgeblichen Vertretern der Politik diskutiert – mit Erfolg.

BMG greift Initiative zur Gleichstellung angestellter Ärzte auf


Die Eingabe wurde im Herbst 2016 in den Referentenentwurf des SVSG aufgenommen. In jenem hieß es sogar noch uneingeschränkt, dass „halbtags“ ersatzlos gestrichen würde. Auf diese Ankündigung hin kam es in Teilen der Organisation der ärztlichen Selbstverwaltung zu entrüsteten Protesten.

Eine Frage der politischen Kultur

Die Politik ruderte in der Folge mit dem Kabinettsentwurf des Gesetzes zwar wieder ein Stück zurück, doch letzten Endes ist die jetzige Formulierung durchaus eine begrüßenswerte Weiterentwicklung, die auch ein neues und wichtiges Stück Normalität in einer Welt, wo bereits jeder fünfte Arzt im Angestelltenverhältnis arbeitet, bedeutet.

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, das angestellte Ärzte, die dieselbe Arbeit leisten wie ihre niedergelassenen und ermächtigten Kollegen, ein umfassendes Mitbestimmungsrecht besitzen. Doch, auch wenn es bis zur völligen Gleichstellung auch noch ein gutes Stück Weg ist, so ist sie die Änderung des §77 III SGB V ein wichtiger Zwischenschritt.

Bleibt zu hoffen, dass die siebzehn regionalen KVen, die Änderung schnell und reibungslos umsetzen.


„Wenn sich das KV-System nicht ändert, wird es aufgrund mangelnder Legitimation langsam verschwinden“, sagt Dr. Bernd Köppl, Vorstandsvorsitzender des BMVZ.

Nach Meinung des Verbandes sollten die KVen und auch die KBV daher die Integration der angestellten Ärzte weniger als Bedrohung, sondern als eine Bereicherung empfinden. Die kooperativen Versorger mit ihren angestellten Ärzten bilden im System keine Gegenwehr, sondern einen wesentlichen Teil des Fundaments, auf das eine moderne Selbstverwaltung bauen kann.

Doch überträgt sich mit der Gesetzesänderung auch ein Stück Verantwortung auf die angestellten Ärzte. Wenn es für die zurückliegende Wahl auch zu spät sein mag, so ist es auch Aufgabe der angestellten Ärzte, in den kommenden sechs Jahren das Tun ihrer KV, die als Selbstverwaltung ja von Ärzten für Ärzte gestaltet wird, genau zu beobachten und ihre (neuen) Rechte auf Mitbestimmung und Teilhabe zu nutzen.

Denn wer nicht bestimmt, der wird bestimmt!


Fakten zum Gesetzgebungsverfahren

Im September 2016 hat das Bundesgesundheitsministerium einen ersten Entwurf für ein ‚Gesetz zur Stärkung der Handlungsfähigkeit und Aufsicht über die Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der GKV‘ veröffentlicht. Dieser Langtitel wurde in Selbstverwaltungsstärkungsgesetz oder SVSG abgekürzt und in diesen Bezeichnungen schnell geläufig.

Primär geht es in diesem Gesetz nach den zuletzt teils sehr öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Querelen innerhalb der ärztlichen Selbstverwaltungsgremien um Änderungen am Ordnungsrahmen, in dem sich die Spitzengremien des Gesundheitswesens einerseits und das BMG und die Ländergesundheitsministerien als Rechtsaufsicht andererseits künftig begegnen sollen. Die Änderung des § 77 SGB V, die von diesen großen Fragen nur am Rande berührt wird, ist vor diesem Hintergrund quasi zufällig in das SVSG mit reingerutscht.

Jedes Gesetz durchläuft vor seiner Verabschiedung mehrere institutionalisierte Phasen.

Am 22. September 2016 ist der Referentenentwurf des Gesetzes den Verbänden übermittelt worden.

Am 18. Oktober 2016 hat das BMG eine Verbändeanhörung dazu durchgeführt.

Am 17. November 2016 ist vom Bundeskabinett der an vielen Stellen geänderte Gesetzentwurf förmlich beschlossen worden.

Am 16. Dezember 2016 hat der Bundesrat seine förmliche Stellungnahme verabschiedet und dem Bundesgesundheitsministerium übermittelt.

Am 16. Januar 2017 fand eine Sachverständigenanhörung durch den Ausschuss für Gesundheit des Bundestages statt.

Am 25. Januar 2017 wurden auf der entscheidenden Ausschusssitzung zum SVSG elf Änderungsanträge beschlossen.

Am 26. Januar 2017 wurde das Gesetz mit den Änderungen in dritter Lesung im Bundestag beraten und beschlossen.

Offen ist nun noch die förmliche Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten sowie die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. beides sind notwendige Schritte vor Inkrafttreten des Gesetzes, mit denen in Kürze zu rechnen ist.


Weiterführende Informationen

Direktlink:
BMVZ-Position v. 31.1.2017:
Der BMVZ zum Selbstverwaltungsstärkungsgesetz

Download:
BMVZ-Stellungnahme zum GKV-SVSG

Download:
BMVZ-Problemaufriss Mitgliedsstatus angestellter Teilzeit-Ärzte

Verweis:
Gesundheitswirtschaft Heft 6/2016:
Wankender Riese – Ärzteschaft unter Anpassungsdruck
(Aufsatz liegt dem BMVZ als Print vor)

Direktlink:
ÄrzteZeitung v. 11.4.2016:
Sind Ärzte in Teilzeit außen vor?